Wohin nur, an diesem letzten Feiersonntag – auf der Flucht vor Schlangen und Touristen?
: Kinder, Überraschung

Erwachsen

von Martin Reichert

Nur noch der Sonntag, so dachten mein Freund und ich, und dann ist es geschafft: Endlich wieder Arbeit und Alltag. Aber was nun mit diesem letzten „Feiertag“, der zugleich der erste Sonntag des Jahres sein sollte, anfangen? Irgendwohin gehen, wo es keine Schlangen gibt. Also nicht in den Zoo (hihi!) und eigentlich an keinen Ort in Berlin, der für übrig gebliebene Silvesterparty-Touristen auch nur ansatzweise interessant sein könnte.

Ins Museum also? Da kann doch wohl keiner ernsthaft hin wollen bei a) der Eiseskälte und b) nach all diesen erschöpfenden Feierlichkeiten.

Als wir dann an der Ticketbox der Berliner Museumsinsel in der Schlange standen, wurden wir eines Besseren belehrt. Was macht man an einem eiskalten Sonntag, wenn man Kinder hat? Man geht anscheinend ins Museum. Die armen Kinder! Um nicht zu erfrieren brüllen und toben sie wie irre am Spieß. Oder sind sie bloß aufgeregt, weil sie endlich den Pergamonaltar zu Gesicht bekommen? Direkt vor uns in der Schlange ein Pulk französischer Fünfjähriger die „Das Wandern ist des Müllers Lust“ singen, aus freien Stücken. Völlig von Sinnen von der Aussicht, sich gleich ein paar Expressionisten reinzuziehen. Andere rotgesichtige Minderjährige mit Mützen brüllen einfach nur vor sich hin, weil sie sich auf die Schnurrbart-Sonderausstellung freuen, so wie wir uns gefreut hatten.

Wir gehen lieber.

Und fahren doch zum Zoologischen Garten, Fische gucken. Das Aquarium ist bestimmt gut geheizt und auch Schlangen gibt es hier sicher nur im Wasser. Doch als wir das Gebäude unweit des Bahnhof Zoo betreten, wird uns einmal mehr unsere Naivität klar: Eine Wand aus Kindergeschrei steht zwischen uns und den Schauräumen, die wir nun fluchtartig verlassen. Unwirklich, aber wahr: Man hatte offensichtlich fast alle Kinder Berlins in das Aquarium verbracht. Die übrig gebliebenen warteten derweil vor der Kasse der Berliner Museumsinsel.

Uns Erwachsenen blieb anscheinend nun nur noch eine Möglichkeit, den Sonntag zu verbringen, und zwar in der Verkaufsfreiheit des benachbarten „Bikinihauses“, einem Ort, an dem das Einkaufen auf kinderfeindliche Art und Weise kuratiert ist. Weder Spielzeug noch Quengelware. Inmitten überteuerter, aber hervorragend geheizter Warenwelten wandelten wir nun Lust und fanden auch einen Ort, an dem man Kaffee mit aufgeschäumter Laktose und Glutenschnitten zum Preis eines Einfamilienhauses erwerben konnte.

Das Café mit angeschlossenem Shop (oder ist es umgekehrt?) wartet zudem mit einem Blick auf das Affengehege des Berliner Zoos auf – und so hatten wir es dann doch noch geschafft, unseren Sonntag mit Inhalten aufzuwerten. Auch wenn es sich weder um Bärte noch um Fische handelte.

„Guck mal“, sagte ich zu meinem Freund, „wie niedlich.“ „Ja“, antwortete er und kostete genießerisch von seinem Premium-Backwerk, „und sieh mal dort hinten rechts, die Äffin trägt ein Junges auf dem Rücken“, erwiderte er lakonisch.

So aus der Ferne betrachtet hatte das etwas ungeheuer Friedliches.

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