Ein ästhetisches Ärgernis

Alle Jahre wieder nervt die Bundeswehr mit ihren idiotischen Zapfenstreich- und Gelöbnis-Ritualen, mag sein. Noch idiotischer sind aber die ebenso ritualisierten linken Abwehrreflexe dagegen

von NATALIE TENBERG

Gestern fand zum 50-jährigen Jubiläum der Bundeswehr vor dem Gebäude des Reichstags in Berlin-Mitte ein großer Zapfenstreich statt, der schon vorher zu regen Diskussionen führte. Dieses preußische Militärritual bietet jedoch Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit dem Militär in Deutschland, die über den linken Reflex der Ablehnung, der regelmäßig mit einem solchen Ereignis einhergeht, hinausgeht. Doch wie kann die Auseinandersetzung jenseits dieses Automatismus funktionieren, worauf kann sie fußen?

Zurzeit sieht der Diskurs so aus: Während die einen die Farbbeutel füllen, bürsten andere ihre Uniform. Beim Ritual des Zapfenstreichs, wo die männlich dominierte Ästhetik der Staatsgewalt zelebriert wird, treffen sie dann aufeinander.

Dabei stößt dieses Ereignis gesellschaftlich nicht mehr auf. Sogar die damit verbundenen Unannehmlichkeiten wie Stau, Zugverspätung und Sperrungen werden nicht dem Militär, sondern dessen Gegnern angelastet. 50 Jahre nachdem die ersten Rekruten der Bundeswehr vereidigt wurden, sind Soldaten in Uniform ein Bild geworden, das viele als Normalität akzeptieren.

Anderen indes ist dieses militärische Ritual weiterhin ein ästhetisches Bild des Grauens. Helme, Stiefel, Fackeln und Gebrüll – das alles nun bei Sonnenuntergang vor dem Bundestag. Es wirft die Frage auf, ob ein solches Ereignis in Zeiten, in denen sich die Bundeswehr als offen und gleichheitlich darstellen möchte, nicht obsolet ist. Das mischt sich mit der Frage, woher der Reflex der Ablehnung kommt.

Demokratische Balance

Die Ablehnung basiert vor allem auf zwei Aspekten. Der erste, das ist der ideologische Aspekt. Es basiert auf der Überzeugung, dass Deutschland kein Militär braucht, bezieht sich auf unsere Geschichte und weiterhin auf die Idee des Pazifismus. Diese Ablehnung ist nötig, wirkt der Verherrlichung des Militärs entgegen und führt zu einem demokratiegemäßen Gleichgewicht.

Der zweite Aspekt ist weit diffuser und ästhetischer Natur. Es ist die Ablehnung gegen ein Ereignis, das mit Waffen und Uniformen eine Zugehörigkeit zelebriert. Der „treue Gehorsam“, der in der Tat gar nicht mehr so besteht, schließlich ist laut richterlichem Beschluss jeder Soldat dem eigenen Gewissen unterworfen, ausgesprochen in der Öffentlichkeit, führt weiterhin zum Unbehagen über das Bild, das sich da von der eigenen Gesellschaft bietet.

Weiterhin war die Exklusivität der Veranstaltung, nur geladene Gäste waren erwünscht, ein Ablehnungsgrund. Das Volk, in dessen Namen die SoldatInnen dienen wollen, war ausgeschlossen. Wegen vermuteter Feindlichkeit. Ein paradoxer Zustand, der zu einem Dilemma führt.

Die Bundeswehr möchte ein modernes Militär sein, das auf die Belange der Mitglieder und der Gesellschaft Acht nimmt. Dennoch knüpft sie an preußische Militärrituale an und weckt dadurch nur allzu oft Assoziationen zur Wehrmacht, die auch an genau diese Rituale anknüpfte. Dadurch entsteht ein Gegensatz zwischen dem, was die Bundeswehr sein möchte, und dem, was sie zur Schau stellt.

Der Zapfenstreich gestern, die Feier der Gemeinsamkeiten hat zum Ziel, eine Gruppenzugehörigkeit zu verdeutlichen – sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gruppe. Doch wenn die jetzige Form des Rituals schwer vereinbar mit dem Wunschzustand der Gruppe ist, warum wird nicht nach einer neuen assoziationsärmeren Ästhetik gesucht? Warum wird das leicht angreifbare Klandestine nicht durch eine weniger traditionelle Form ersetzt?

Eine reine Formfrage?

Zunächst müsste eine Form gefunden werden, die das Öffentliche an der vom Bürger gezahlten Feier für eine vom Bürger bezahlte Truppe betont – auch sollte nicht die Kulisse des Bundestages herhalten. Weniger majestätisch, weniger pompös.

In ihrer Neuorientierung hat die Bundeswehr es zwar vermocht, sich positiver darzustellen als in der Vergangenheit, aber das beruhte vor allem darauf, dass die militärischen Umgangsformen abgemildert wurden. Nun müssen auch aufgeklärtere Rituale her.

Das würde nicht nur der Bundeswehr nutzen, sondern auch der Gesellschaft insgesamt. Denn die fundierte und ideologische Kritik an der Bundeswehr würde das nicht verstimmen lassen. Die diffuse Abneigung gegen ihre Rituale könnte aber damit eingeschränkt werden.

Sollte sich bei einer anderen Form noch immer eine breite Front gegen das Gelöbnis bilden, was zu vermuten ist, dann wäre das vor allem eine berechtigte, auf Überzeugungen basierende Kritik. Sie würde zum gesellschaftlichen Diskurs beitragen und nicht generell im Verdacht stehen, lediglich ein wiederkehrender Reflex der Ablehnung zu sein – sondern eine ernst zu nehmende Kritik.