UNVERBREMT VON CHRISTIAN JAKOB
: Der Prophet bleibt

Er liegt am Boden, in seiner Lederjacke, mit seiner Aluminium-Trinkflasche am Gürtel. Die langen braunen Haare kann er sich nicht aus dem Gesicht streichen, denn zwei Polizisten halten seine Arme fest. Er will auch die Menschen warnen, die im Schütting sitzen, vor den Dingen, die da drohen und ruft die ewig gleichen Schleifen seiner nimmermüden Predigt in Richtung des Gebäudes, in dem die Innenminister beim Kamingespräch sitzen. „Kreuzfesselgriff und weg“, hatte der Einsatzleiter gesagt. Erst hatten sie ihn für einen der antirassistischen Demonstranten gehalten, die sich gerade sammelten. Doch als die Polizisten an ihm zerren, bleibt er stehen, als seien seine Füße einbetoniert. Am Ende drücken sie ihn zu Boden und stehen ratlos davor, während Passanten sie anschreien. Sicherheitsbeauftragte im Anzug kommen aus dem Konferenzgebäude, sie telefonieren und schauen ihn an. Die inbrünstige Predigt über die drohende ewige Verdammnis ändert nicht einmal die Tonlage. Am Ende lassen sie ihn liegen.

Zwölf Stunden später, es ist drei Uhr früh, gibt es hier keine Minister, keine Polizisten und keine Demonstranten mehr. Flutlichter und der Mond scheinen auf den Schütting und auf den Prediger, der vor dem Ort des Ministertreffens steht, und ganz allein und doch aus Leibeskräften das nun menschenleere Gebäude vor der drohenden, ewigen Verdammnis zu warnen trachtet.