Volksvertreter sollen jobben

INKOMPATIBILITÄT Bisher dürfen Staatsangestellte, wenn sie Abgeordnete werden, nicht weiter arbeiten und bekommen dafür einen „Ausgleichsbetrag“. Das ist verfassungswidrig

Die SPD ist nicht davon überzeugt, dass die bremischen Regelungen korrigiert werden müssen

Von Klaus Wolschner

„Der Ausgleichsbetrag ist komplett unzulässig.“ Dieser schlichte Satz verunsichert derzeit das politische Establishment Bremens. Er steht als „Fazit“ im Rechtsgutachtens des früheren Staatsgerichtshofs-Richters Günter Pottschmidt und bedeutet: Es ist verfassungswidrig, dass derzeit rund ein Viertel der Abgeordnete der Bürgerschaft neben ihren Diäten einen „Ausgleichsbetrag“ erhält, weil sie im öffentlichen Dienst beschäftigt waren und diese Tätigkeit wegen „Inkompatibilität“ ruhen muss. Nach der Ansicht des Juristen wird mit dem zusätzlichen Geld der Gleichheitsgrundsatz für VolksvertreterInnen verletzt. Mit 470.000 Euro im Jahr steht der Ausgleichsbetrag bisher im Etat der Bürgerschaft.

Die Folgen sind weitreichend. Betroffene Abgeordnete der Bürgerschaft müsste nebenher arbeiten gehen. Weiterhin „inkompatiblen“ Personen aus Leitungsfunktionen drohen deutliche Einkommensverluste, wenn sie in die Bürgerschaft wollen. Für erfolgreiche Selbständige galt das immer schon.

Der CDU-Vorsitzende Thomas Röwekamp hatte darauf gedrungen, dass die Regelungen über die „Inkompatibilität“ gelockert werden: Wenn jemand Krankenschwester oder Verwaltungskraft der Hochschule Bremerhaven ist, sollte das nicht „inkompatibel“ mit der Tätigkeit in der Legislative sein. Nirgends sind die Inkompatibilitätsreglungen so scharf wie in Bremen.

Dass gleich auch die Ausgleichszahlung verfassungsrechtlich überprüft werden könnte, das hatte der SPD-Fraktionsvorsitzende Björn Tschöpe in den Gutachterauftrag eingebracht. Und der hat nun die Folgen zu tragen: Bei der SPD sind neun Abgeordnete betroffen. Zum Beispiel Birgit Busch. Sie war vor ihrer Wahl beim Wirtschaftssenator mit der Vorbereitung von Unterlagen für die Deputation befasst. Eine solche Arbeit wäre sicherlich „inkompatibel“ mit dem Mandat, sagt sie, zumal sie Mitglied der Wirtschaftsdeputation ist. Aber nur von der Diät zu leben „das wäre auch schwierig“. Sie ist, trotz des Rechtsgutachtens „nicht davon überzeugt, dass die bremischen Regelungen korrigiert werden müssen“.

„Die SPD mauert“, heißt es bei der CDU. Sandra Ahrens ist die einzige „betroffene“ CDU-Abgeordnete. Sie war im Finanzamt tätig – und würde gern wieder halbtags arbeiten gehen. „Ich bin doch zwangsweise beurlaubt worden“, sagt sie, und beklagt deutliche finanzielle Einbußen dadurch: Wenn sie weitergearbeitet hätte, wäre sie befördert worden und hätte höhere Pensionsansprüche.

In der Grünen-Fraktion sind vier Abgeordnete betroffen. Für den Sozialrichter Horst Frehe wäre eine Streichung der Ausgleichsbeträge besonders teuer, weil eine Weiterarbeit als Richter „inkompatibel“ wäre.

Aber da kennt der Gutachter Pottschmidt keine Gnade: Die „Ausgleichszahlungen“ verstoßen gegen die „Fundamentalstrukturen des Parlamentsverfassungsrechts“ und die sind wichtiger als „überwindbare Schwierigkeiten öffentlicher Bediensteter, wenn diese ein Mandat ansteuern und für ihre Einkünfte neben dem Mandat selber sorgen müssen“.

Christian Weber, der Parlamentspräsident und Vorsitzende des Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschusses, räumt ein, dass der eindeutige Satz über die Ausgleichszahlungen so nicht erwartet worden war. Die Juristen in der Bürgerschaftsverwaltung haben aber an der Argumentation des Gutachters nichts auszusetzen. Möglicherweise, sagt der Grünen-Fraktionschef Matthias Güldner, muss man das Problem in einer weitreichenden Reform des Parlaments lösen. Bei den Grünen war früher schon einmal die Idee einer kleineren, full-time arbeitenden Bürgerschaft diskutiert worden.