piwik no script img

Archiv-Artikel

WOHLFÜHLIMPERIUM UND FURNIERHÖLLE. WAS IST LOS IN DER BRUNNENSTRASSE? Ich wollte zu Mama

VON ULRICH GUTMAIR

Es war einiges los in der Brunnenstraße in den letzten Wochen. Ich bin geneigt, die Vorkommnisse als Zeichen für das baldige Ende der Pionierphase der Gentrifizierungsarbeiten in dieser Ecke von Mitte zu betrachten. Ab jetzt lautet die Frage, wohin die Reise geht. Wird eine Amüsiermeile aus dem Stück zwischen Rosenthaler Platz und Invalidenstraße? Setzt sich der gehobene Konsum durch? Oder ist das die falsche Alternative?

Um den Möglichkeitsraum zu vermessen, gilt es, empirisch vorzugehen. Daten sammeln, durch die Straße driften. Ich trödele rechter Hand die Brunnenstraße hinunter, wo neuerdings formschöne Möbel aus vergangenen Zeiten feilgeboten werden. Ein altes Pärchen, sie trägt eine Baskenmütze, isst bei Bäcker Schnell Kuchen.

Es zeigt sich, dass es hier nicht nur Galerien gibt. Auf dem Grundstück Nummer 166 gähnt gar ein Parkplatz, im Bräustübl wird getrunken, der Kingkongklub hat noch nicht auf. Neben den Kunststoffen, die im Eckhaus seit Menschengedenken allerlei Artikel für Dekorationszwecke bereithalten, sind die Schaufenster des im vorletzten Sommer zwischengenutzten Ladens verrammelt. Auf der anderen Straßenseite steht seit Jahren das Kaufhaus Jandorf leer, das nach dem Ende des Modeinstituts der DDR ein paar Jahre von der Bayerischen Hypo genutzt wurde. Der Entscheidung, was dieses Haus beherbergen wird, wird ein lautes Echo in der Gegend folgen. Noch scheint der Frankfurter Eigentümer sie hinauszuschieben. Vielleicht sammelt auch er noch Daten, liest die kleinen und großen Veränderungen in der Straße, um sich nicht von kurzfristigen Trends blenden zu lassen.

Das ist klug, denn auch südlich der Invalidenstraße werden widersprüchliche Signale ausgesandt. Klar ist nur, dass der Rosenthaler Platz nicht mehr nur das geheime Herz von Mitte ist. In den Räumen der Buchhandlung Starick scheint generalstabsmäßig an einem Wohlfühlimperium für junge Hipster gebastelt zu werden. Der Laden steht voll mit Couchs, eine verspiegelte Sitztreppe führt auf ein Plateau. Die mittelalten bärtigen Herren, die hier werkeln, haben scheint’s einiges vor.

An Kundschaft wird es wohl nicht fehlen, wenn bald direkt am Platz das All Seasons in Berlin eröffnet, das schon „originelles Design in 145 Zimmern“ verspricht. Ein paar Schritte weiter wird das ehemalige Marrakech gerade in eine Furnierhölle verwandelt. Ob hier nur getrunken, oder auch gegessen werden soll, wird sich zeigen.

Das Kim ist noch da, gibt es das Subversiv noch? Die Tage von Rossi Records sind lange vorbei. Ans Sexyland unter der Tram, das Glowing Pickle, das Boudoir und die Hohe Tatra erinnert sich außer Martin Conrads eh keiner mehr. Man könnte die eigene langjährige Gentrifizierungstätigkeit also ruhig dem Vergessen überantworten, tauchte am Ende des Rundgangs, in der Galerie Nice & Fit in einem Film von Salomé Machaidze nicht plötzlich auf und sagte: „Ich hasste das System. Ich wollte eben zu Mama.“