Es ging auch ohne Vater Staat

KUNST Wer nicht für die DDR war, war gegen sie. Das gilt auch für die zwölf Künstlerinnen, die derzeit im Künstlerhaus Bethanien präsentiert werden. Dort hängen selbstbewusst ältere und neuere Arbeiten beieinander

VON ANJA MAIER

Gott, was war dieses Land eng! Eine unangemeldete Performance, ein schräges Atelierfest, ein Aktworkshop irgendwo auf dem Lande – schon war man Staatsfeindin der Deutschen Demokratischen Republik und hatte die Stasi am Hals. Im Nu wurde man das, was man Subkultur nannte. Untergrund. Szene.

Zwölf jener Künstlerinnen, die in den Achtzigerjahren quer zum staatlich einerseits alimentierten, andererseits misstrauisch kontrollierten Kunstsystem der DDR lagen, versammelt die Ausstellung „und jetzt“ im Kreuzberger Bethanien. Der Titel der großartigen, sehr konzentrierten Schau ist klug gewählt. Denn diese Frauen waren ja nicht nur damals Künstlerinnen, sie sind es bis heute, und zwar teilweise außerordentlich erfolgreich.

Derlei übersieht sich leicht, und deshalb sind ihren früheren Arbeiten immer auch aktuelle hinzugesellt. Ein wichtiges Beharren auf ihrer Profession, denn zu wohlfeil und zu naheliegend wäre es ja, die Protagonistinnen auf ihre Widerständigkeit von vor zwanzig Jahren zu reduzieren, auf ihr Leiden und Ausgespähtwerden, ihr mutiges und konsequentes Sichablösen von Vater Staat.

Piefige Verhältnisse

Auf den ersten Blick eine richtige Annahme – der Blick auf die jeweiligen Künstlerinnenbiografien, auf ihr Agieren gegen bestehende piefige Verhältnisse offenbart ein erschütterndes Maß an Unterdrückung durch das politische System, in dem sie gelebt haben. Die Künstlerin Cornelia Schleime etwa hat das, was ihr die Stasi angetan hat, Anfang der Neunzigerjahre in einer beneidenswert ironischen vierzehnteiligen Siebdruckarbeit verarbeitet. In „Bis auf weitere gute Zusammenarbeit, Nr. 7284/85“ hat sie Blätter ihrer Stasiakte mit aktuellen Selbstauslöserfotografien kombiniert. Da sieht man die blonde Schleime auf einem Doppelbett liegen und telefonieren, selbstvergessen und privat. Der Spitzelbericht dazu: „Die Ermittelte ist gut gekleidet, sie trägt auch ‚Westkleidung‘. Einen Freund hat man im Haus noch nicht gesehen.“ Mies.

Auch Künstlerinnen wie die Dresdnerin Christine Schlegel oder die Erfurterin Verena Kyselka haben sich nach dem Mauerfall in vergleichbarer Weise an ihren Zersetzern abgearbeitet. Schlegels Text-Bild-Collage heißt „Eingeschweißte Überwachung“. Kyselkas „Pigs like Pigment“ ist kombiniert mit Fotos aus ihrem Atelier, wo sie in den Achtzigerjahren Papierbögen mit ihrem rot bemalten Arsch bedruckte.

Ungebrochen cool

Ungebrochen cool und selbstbewusst waren diese Künstlerinnen, und letztlich war es folgerichtig, dass kaum eine von ihnen bereit war, die realsozialistische Enge zu ertragen. Viele von ihnen sind damals ausgereist. Was sich heute leichthin sagt – Ausreise – war ja mehr als die Verlegung eines Wohnortes. Es war das Abschneiden einer Biografie, der Abschied von Freunden, Familie, Heimat. Die DDR-Ausreisewelle der Achtzigerjahre kam einem Exodus der letzten Freigeister gleich, jenes kleinen wilden Stücks Osten, aus dem sich bis heute jede Menge Legenden speisen.

Man spürt in den Arbeiten der Frauen das, was sie angetrieben, umgetrieben haben mag. Die durch den staatlichen Kunstbetrieb praktizierte Ächtung als Unangepasste hat sie paradoxerweise freier in ihrer künstlerischen Arbeit gemacht. Die DDR-Doktrin „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ evozierte eine „Auch schon egal“-Haltung und damit ein Überwinden gängiger ästhetischer Normen.

Schaut man sich etwa Gunda Schulze Eldowys Stadtlandschaften von 1989 an, wähnt man sich im letzten Kriegswinter. Ein kaputtes Leipzig, ein verstaubtes Ostberlin, heruntergelassene Fensterläden, blatternarbige Fassaden – geschlossene, abgeschlossene Gesellschaft. Politisch erwünschte Kunst sah nach damaligen Maßstäben wirklich anders aus.

Gleichgültig ob Mauerfall oder Ausreise, viele der zwölf Künstlerinnen gingen zum Neuanfang weit weg aus Deutschland. New York, Pasadena, Colorado – Westberlin war wohl einfach nicht fern genug. Die Künstlerin Else Gabriel ist überzeugt, dass die größtmögliche physische Entfernung notwendig war, um heute wieder hier leben und arbeiten zu können.

Im Bethanien zu sehen sind Fotos ihrer 1987er-Autoperforationsartistik mit Micha Brendel und Via Lewandowsky. Ihre daneben hängende aktuelle Arbeit ist die umwerfende „Ode ans Öde (Scheiß Künstlerin)“. Das großformatige Foto zeigt Gabriel mit verbiestertem Gesicht im grauen Schlabberhausanzug mit ihrer Zeichenmappe, am Boden eine olle Berliner Schmalzstulle.

■ Bis zum 20. Dezember im Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2, Mi.–So., 14 bis 19 Uhr