„In aller Musik steckt ein Stück Brasilien“

INTERVIEW Der brasilianische Filmemacher Otavio Juliano zu Biodiversität und kulturellem Alltag

■ 1972 in São Paulo geboren. Sein vorheriger Film, „Third World California“, handelte von illegalen mexikanische Migranten in Indianerreservaten.

taz: Wie kamen Sie auf das Thema Ihres Films? Ist das drohende Aussterben des Pau brasil, des Baumes, nach dem Brasilen benannt ist, ein Thema, das im Land öffentlich diskutiert wird?

Otavio Juliano: Nein, gar nicht. Ich stieß vor vier Jahren per Zufall bei einer Recherche im Internet auf den Pernambuco. Dort erfuhr ich, dass sein Holz zur Herstellung von Bogen für Streichinstrumente verwandt wird, wo es bis heute als unersetzlich gilt. Ich fand den Zusammenhang zwischen einer besonderen Baumspezies und unserer Musikkultur faszinierend. Dass war ein sehr überraschender Aspekt der Bedeutung der Biodiversität für unseren kulturellen Alltag.

Sie sahen sich also mit einer unbekannten Thematik konfrontiert?

Ja, es war eine wirklich eine Herausforderung. Meine Mutter ist zwar Pianistin, aber klassische Musik war nie etwas, mit dem ich vertraut war. Mein Hintergrund ist das Theater und der Film, ich habe an der UCLA in Los Angeles Film studiert. Ich musste intensiv recherchieren, um mit den Musikern zu sprechen. Ich kannte ihre Namen. Aber mehr wusste ich nicht. Auf der anderen Seite habe ich auch sehr viel Zeit mit den Botanikern und Biologen verbracht, sie haben mir sehr viel beigebracht. Heute kann ich einen Brasilbaum erkennen.

Das Thema ist auch für viele Streichinstrumentalisten neu?

Nur wenige Leute wissen etwas darüber, das gilt auch für die Musiker. Einige der Streicher, die im Film auftreten, hatten keine Ahnung davon, woher das Holz ihres Bogens kommt. Sie wussten, dass die besten Bögen immer aus Pernambucoholz sind. Wenn sie etwas über die Gefährdung des Pau brasil wussten, dann über ihre Bogenmacher.

Die Bogenmacher haben doch eine Initiative zum Schutz des Baumes gestartet?

Die Bogenmacher haben die International Pernambuco Conservation Initiative gegründet. Diese Initiative bringt auch zum ersten Mal all die Leute zusammen, deren Sorge dem Pau brasil gilt. Menschen ganz unterschiedlicher Profession und Nationalität. Man sieht es im Film, welche Erleichterung es für sie ist, ihre Sorge teilen zu können.

Ist die Initiative ein Erfolg?

Ja, aber es muss noch sehr viel mehr geschehen. Die brasilianischen Bogenmacher in der Gegend von Espirito Santo haben ein großartiges Wiederaufforstungsprogramm gestartet. Aber es muss noch ein größeres öffentliches Bewusstsein für das Problem entstehen. Ich denke, es müssten weltweit Konzerte für den Pau brasil gegeben werden.

Der Baum wurde fünfhundert Jahre lang geerntet, ist das der Grund seiner Gefährdung?

Nur bedingt. Heute gefährden ihn die ständigen Waldbrände. Nach dem Feuer wird Eukalyptus angebaut, der sehr schnell und sehr hoch wächst, also in kürzester Zeit viel Holz für die Zellstoff- und Papierproduktion liefert.

Dagegen ist ein Baum, der Musik liefert, doch etwas ganz anderes?

Unbedingt. Der Bogen war ein Zufallsprodukt, aber er bedeutete eine Revolution, vergleichbar der Elektrogitarre. Es konnten im 18. Jahrhundert plötzlich ganz andere Lautstärken erreicht werden. Es konnte ganz anders komponiert werden. Seitdem spielen sämtliche Berufsmusiker mit einem Bogen aus Pernambucoholz. In aller Musik – auch in einem Beatles-Song wie „Yesterday“ – steckt also ein Stück Brasilien. INTERVIEW: BRIGITTE WERNEBURG