Die Musik im Urwaldbaum

DSCHUNGEL Das Holz des Pau brasil ist für Geigenbögen unersetzlich. Bogenmacher wollen ihn retten

Sein Holz hat zuerst die Mode und dann die Musik revolutioniert

VON BRIGITTE WERNEBURG

Der unscheinbare Baum, der gerade mal 25 Meter hoch wird, ist bedroht – doch es naht Rettung. Denn der Pau brasil oder Brasilbaum hat nicht nur eine große Geschichte, sondern eine noch immer unersetzliche Verwendung. Er gab Brasilien seinen Namen, und sein Holz hat im 16. Jahrhundert die Mode und im 18. Jahrhundert die Musik revolutioniert. Sein botanischer Name lautet Caesalpinia echinata, sein Holz wird Fernambuk, Pernambuk oder Pernambuco genannt. Sein Aussehen ist so wenig charakteristisch, dass es Schulung bedarf, ihn zu erkennen. Zumal er heute in seinem ursprünglichen Habitat, den atlantischen Regenwäldern entlang der Nord-Süd-Küste Brasiliens, nur noch selten anzutreffen ist.

In einigen der Gebiete, in denen er noch zu finden ist, wurde inzwischen der Standort jedes einzelnen Baums per GPS-Satellitenfunk verortet und kartografiert. Es ist der Beginn einer umfassenden Inventarisierung. Untersucht werden auch die genetische Struktur seiner drei Varianten, seine Boden- und Klimavorlieben sowie sein Reproduktionsverhalten. Heute weiß man, dass seine Setzlinge in der gleichen Zeit, in der sie in der freien Natur zwei Blätter treiben, in der Baumschule sechs Blätter hervorbringen. „Er regeneriert sich sehr gut“, sagt die Wissenschaftlerin am Forschungsinstitut des Botanischen Gartens in Rio de Janeiro in Otavio Julianos Dokumentarfilm „The Music Tree“.

Zu Anfang der Kolonialzeit wurde der Baum in rauen Mengen geerntet, weil man mit seinem Holz Stoffe in der Modefarbe des 16. Jahrhunderts Rot färben konnte. Und zwar in allen Schattierungen, was eine erste, 1540 in Venedig gedruckte Färbeanleitung bezeugt. Sie enthielt 33 Rezepte für Rottöne, 26 wurden mit Pau brasil hergestellt. Die Farbe steckt auch im Wort „brasil“, das sich etymologisch aus dem Keltischen „breazail“, für Zinnoberrot, herleiten soll.

Der gelernte Uhrmacher François Xavier Tourte (1747–1835) entdeckte das Fernambukholz dann für den Bau von Streichbögen. Erst diese Entdeckung erlaubte es ihm, seine erstmals konkav geformten Bögen in den immer gleichen Abmessungen zu fertigen. Dabei ist die stetige Verjüngung des Bogenradius in logarithmischem Verhältnis eine besondere Errungenschaft Tourtes. Da eine solche Optimierung der Maße um 1800 selbst für einen Mathematiker eine komplexe Aufgabe gewesen wäre, geht man davon aus, dass Tourte die Maße teils experimentell, teils intuitiv fand. Sie sind bis auf den heutigen Tag praktisch unverändert geblieben (für Fachleute: 74–75 cm Länge der Violinbogenstange, 62 cm spielbares Bogenhaar, Schwerpunkt 19 cm über dem Frosch und eine Anzahl von etwa 200 Haaren in einem knapp 1 cm breiten Bezug). Und unverändert geblieben ist auch die Bedeutung des Pernambucoholzes, der Brasilien seinen Namen gab, für den Bogen. Kein anderes Holz, kein Kohlefaserverbundstoff kann sich in einer Initiative mit seinen Eigenschaften messen.

Die Musiker, die Otavio Juliano für „The Music Tree“ interviewte, schwärmen davon. Sie feiern eine höhere Spannung im Spiel, ein näheres Spiel mit einer stark verbesserten Kontrolle über den Bogen, der eine früher ungekannte Biegsamkeit aufweist, vor allem aber ein größeres Klangvolumen als Errungenschaften des modernen Bogens. „Die Geige, das ist der Bogen“, war denn auch die Erfahrung des großen Violinvirtuosen des 18. Jahrhunderts, Giovani Battista Viotto. Der Stargeiger David Garret schwört im Film-Interview, dass ohne einen Bogen aus Brasilholz Paganini unspielbar sei.

„Heute dreht sich alles um den Wiederanbau des Baumes“, sagt der Bogenmacher Floriano Schaeffer, wenn er über die Ausbildung seiner Lehrlinge spricht. In Otavio Julianos Dokumentarfilm sieht man ihn, wie er zusammen mit Haroldo Cavalcante de Lima, dem Leiter der Forschungsabteilung des Botanischen Gartens in Rio de Janeiro, und Mitarbeitern des Zentrums für Kakaoforschung die uralten Brasilbäume auf einer Kakaofarm aufsucht. Die Kakaopflanzen haben sie geschützt, weil sie ihrerseits die Brasilbäume als Schutz nutzten. Sie boten den Schatten, den der Kakao braucht, um sich richtig zu entwickeln.

Rund 250 Bogenmacher weltweit haben sich nun zur Internationalen Initiative zum Schutz des Pernambuco (IPCI) zusammengeschlossen und ein ehrgeiziges Wiederanpflanzungsprogramm gestartet. Sie wollen auch mit den Kakaobauern ins Geschäft kommen. Denn geholfen wird dem Pau brasil nur, wenn er nachhaltig genutzt wird. Die 52 Familien von Landlosen, denen im Zug der Agrarreform eine Kakaopflanzung übergeben wurde, sollen Geld von den Bogenmachern erhalten, solange sie die Setzlinge des Pau brasil pflegen. In 30 bis 40 Jahren wird ihnen das Pernambuco Gewinn bringen. Auch die Bogenmacher, die von ihren Holzlagern leben, seit 2004 der Handel mit Pernambuco verboten wurde, können dann wieder aufatmen.

Und mit ihnen die Musiker und Musikfreunde weltweit.