Eine rollende Rakete

ELEKTRORAD Pedelec ist nicht einfach ein Fahrrad mit Elektromotor, sondern eine neue Art der Fortbewegung, ideal für bergige Gegenden und Distanzen zwischen 5 und 50 Kilometern. Ein Testbericht nach einem halben Jahr Pedelec-Besitz

Die Kombination Tempo und Lautlosigkeit überfordert viele Verkehrsteilnehmer

AACHEN taz | Beim ersten Mal dachte ich: Das ist zwar ein Fahrrad, was mich da fortbewegt, aber das hat nichts mit der Lebenserfahrung Rad zu tun. Ein Speichenfahrzeug kann doch nicht dermaßen abgehen, ohne größere Anstrengung und zudem lautlos! Und das auch noch, obwohl es mit seinem kräftigem Rahmen und dem Akku-Kasten im Rahmendreieck klobiger wirkt als ein Tourenrad. Angeblich sind ein Naben-Elektromotor und ein „intelligentes BionX Energiemanagement-System“ verantwortlich. In Wahrheit, vermutete ich, sitzen hunderte ächzende Galeerensklaven irgendwo in der Nabe, winzig kleine muskelbepackte Gnome, und strampeln nimmermüde wie eine Horde Hamster mit.

Ein halbes Jahr habe ich jetzt meine rollende Rakete. Seitdem habe ich viel zu hören gekriegt. So mancher Bekannter hat spontan gespöttelt: Haha, so alt bist du doch noch gar nicht. Du und Elektrofahrrad! Die Gegenfrage verblüfft meist: Hast du dein Auto, weil du nicht mehr gut gehen kannst? Andere fragen, wie schnell das Gefährt fährt. Sie erwarten Zahlen nahe des Irrsinns und sind ganz enttäuscht, wenn ich sage: Kaum schneller als ein gutes normales Rad, aber bergauf genauso schnell wie bergab. Dann grübeln sie erst mal.

Elektrorad, E-Bike oder Pedelec (Pedal Electric Cycle) – egal wie man sie nennt, die Dinger sind verblüffend. Man tritt in die Pedalen und lässt sich vom lautlosen Motor ohne Anstrengung über die Berge helfen. Mein Delite Hybrid von Riese und Müller hat vier Stufen: plus 30 Prozent, plus 75, 150 oder rassige 300. Bei Stufe vier fliegt man manch Anstieg so hinauf, dass trainierte Mountainbiker nur noch schnaufend hinterherstaunen. Und das alles quasi CO2-frei, denn zu fressen gibt es bei mir nur saftigen grünen Ökostrom.

Sinn machen die Elektrobikes besonders in hügeligen Gegenden. Da gewinnt der innere Schweinehund sonst zu oft beim Gedanken an die unvermeidlichen Steigungen, und schon sitzt man im Auto. Alles zwischen 5 und 15 Kilometer ist jetzt Pedelec-Distanz. Und manchmal ist man schneller am Ziel als das Auto, das sich innerstädtisch erst entstauen muss. Mein Tacho meldet nach einem halben Jahr ein Gesamtdurchschnittstempo von 26,5 Kilometer pro Stunde. Gegenwind wird weggeschaltet. Und der Regen? Statistisch sind in Deutschland 56 Minuten jeder Stunde niederschlagsfrei.

Billige China-Importe gibt es im Baumarkt für unter tausend Euro, Markenmaschinen ab 1.500 bis über 3.000 wie mein Edelteil. Die Branche boomt: 25.000 verkaufte E-Bikes 2005, schon 65.000 in 2007. Für dieses Jahr rechnet die Branche mit über 100.000. Allerdings: Holland setzt genauso viele um, obwohl es deutlich weniger Berge und nur ein Fünftel so viel Einwohner wie Deutschland hat. Umsatz in China: pro Jahr angeblich 20 Millionen Stück.

Nachteile gibt es durchaus. Die Kombination Tempo und Lautlosigkeit überfordert viele Verkehrsteilnehmer, was besondere Wachsamkeit und einen Helm erfordert. Und man hat immer Angst, dass das Ding gemopst wird. Diebstahlversicherungen schlagen mit 200 bis 400 Euro zu Buche – im Jahr. Die Ladezeit beträgt lange vier Stunden, die Reichweite bleibt begrenzt: Nach 50 bis 70 Kilometern ist der Akku leer. Indes: Batteriesysteme, die gleichzeitig leicht, leistungsstark, bezahlbar und besonders ausdauernd sind, suchen Ingenieure schon lange.

Mancherorts kann man E-Bikes auch leihen, so in Dresden, Berlin, Hamburg und im Ruhrgebiet, ab 15 bis 20 Euro am Tag. Paris und einige österreichische Bundesländer subventionieren den Kauf pauschal mit 400 Euro, die Stadtwerke in Tübingen und Aachen geben immerhin 50 bis 150 Euro dazu. Pionierstadt ist Salzburg: Dort gibt es Leasing-Elektroräder plus Freifahrtkarte ÖPNV für 49,90 im Monat (bei 3,5 Jahren Laufzeit). Als erste deutsche Stadt übernimmt Augsburg ab Frühjahr das Modell.

Die kleinen Galeerensklaven im Getriebe habe ich bislang noch immer nicht entdeckt. Dafür aber, dass das Gerät ein Lustspender ist. Den „Ökosex“-Kolumnisten dieser Zeitung habe ich per Rad in Maastricht besucht. Von Aachen aus waren das 37 Kilometer und 70 Minuten von Haustür zu Haustür, schneller als der Überlandbus. Pedelec-Testfahrer Martin Unfried sauste die Maastrichter Weinberge hoch, lächelte hernach entrückt und sprach von seinem ersten „multiplen Öko-Orgasmus“.

BERND MÜLLENDER