„Wir brauchen eine Weltklimabank“

COUNTDOWN Die Menschheit darf noch 750 Gigatonnen Treibhausgase emittieren, sagt der Politologe Dirk Messner. Deutschlands Budget reicht noch zwölf Jahre. Ein Emissionshandel nützt Entwicklungsländern und fitten Firmen

■ Der Politikprofessor Dirk Messner leitet das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik in Bonn. Er ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen, der die Bundesregierung berät. Das interdisziplinär besetzte Gremium hat die Idee der Weltklimabank entwickelt. Foto: DIE

INTERVIEW ANNETTE JENSEN

taz: Sie fordern zusammen mit anderen Wissenschaftlern eine Weltklimabank. Warum?

Dirk Messner: Wenn wir mit einigermaßen hoher Wahrscheinlichkeit erreichen wollen, dass die Klimaerwärmung 2 Grad nicht übersteigt, dann dürfen wir bis zum Jahr 2050 noch 750 Gigatonnen Treibhausgase emittieren. Diese verbleibende Gesamtmenge wollen wir gleichmäßig auf die gesamte Weltbevölkerung verteilen – und Länder, die mit ihrem Budget nicht auskommen, müssen Emissionsrechte hinzukaufen. Organisiert, abgewickelt und überwacht werden soll dieser Handel über die Weltklimabank.

Wie viel Kohlendioxid-Rechte stünden denn nach Ihrem Modell jedem Menschen zu?

Wenn wir die heutigen Bevölkerungszahlen nehmen, stünden jedem Erdenbürger bis zum Jahr 2050 über den gesamten Zeitraum 110 Tonnen Klimagase zu. Wir schlagen vor, mit heutigen Bevölkerungszahlen zu rechnen, um Staaten mit starkem Bevölkerungswachstum einen Anreiz zu geben, das besser in den Griff zu kriegen.

Also darf ich jetzt ab sofort noch 2,7 Tonnen im Jahr verursachen?

Theoretisch ja. Aber die 2,7 Tonnen beziehen sich auf den gesamten Zeitraum. Heute liegen wir im Weltdurchschnitt bei 4,6 Tonnen, in Deutschland sogar bei über 10 Tonnen. Deshalb müssen wir Mitte des Jahrhunderts so weit sein, dass dann weltweit nur noch 1 Tonne pro Person und Jahr anfallen.

Was heißt das für uns?

In Deutschland reicht das Budget noch zehn bis zwölf Jahre, in den USA sind es sogar nur sechs. Und wenn wir weltweit so weitermachen wie bisher, haben wir in 25 Jahren das gesamte CO2-Budget aufgebraucht. Burkina Faso oder Vietnam dagegen haben so niedrige Pro-Kopf-Emissionen, dass ihre Budgets noch für über 2.000 Jahre bzw. 87 Jahre reichen würden. Solche Länder würden durch die Weltklimabank deutlich gestärkt. Sie könnten die Emissionen, die sie nicht in die Luft pusten, im Emissionshandel anbieten und damit erhebliche Einnahmen erzielen, mit denen sie dann Armut bekämpfen und eine klimaverträgliche Wirtschaft aufbauen könnten.

Das setzt voraus, dass alle Länder mitmachen. Ist das realistisch?

Sagen wir andersherum: Wenn einer der großen Spieler sich dem Klimaschutz verweigert – egal ob USA, Europa oder China –, können wir das 2-Grad-Ziel nicht mehr erreichen.

Wie schnell wäre eine solche Klimabank einzurichten?

Sobald sich die Weltgemeinschaft darauf einigt, könnte sie in wenigen Jahren ihre Arbeit aufnehmen. Das wäre eine neue internationale Organisation von der Bedeutung einer Weltbank oder der Welthandelsorganisation. Man könnte die UN-Umweltorganisation in diese Richtung weiterentwickeln. Sie müsste die Emission der Treibhausgase dokumentieren, Regeln festlegen für den Emissionshandel und darüber wachen, dass sie eingehalten werden. Deshalb müsste sie auch über Sanktionsmöglichkeiten verfügen.

Wie aber ist denn zu kontrollieren, was wo emittiert wird? Das sind ja nicht nur Kohlekraftwerke, sondern auch Reisfelder, Kuhmägen und vieles mehr.

Das ist kein Problem: Denn die Staatengemeinschaft hat sich schon vor einiger Zeit auf Indikatoren zur Messung der Emissionen geeinigt.

Wer sollte diese Bank leiten und verwalten?

Die Weltklimabank muss so ähnlich gesteuert und aufgebaut sein wie zum Beispiel die Welthandelsorganisation. Auch die wird von den Mitgliedsländern getragen – das sind zurzeit 153. Wir würden uns natürlich wünschen, dass bei der Weltklimabank alle 192 Staaten dabei sind. Dann bräuchte man eine Art Verwaltungsrat. Wichtig ist, dass die Interessen der Entwicklungs-, Schwellen- und Industrieländer dort etwa gleichmäßig vertreten sind.

Gerade die Industrieländer – allen voran die USA – haben aber doch kaum ein großes Interesse an solch einem System, das ja sehr teuer für sie würde.

Klimaschutz ist nicht umsonst – aber billiger, als nicht zu handeln. Es wäre wirtschaftlich kurzsichtig, draußenzubleiben. Denn die Länder, die sich am Emissionshandel beteiligen, werden massiv in Effizienzsteigerung und Ressourcenschonung investieren, und das bedeutet mittelfristig einen Wettbewerbsvorteil für sie.

Wo sitzen die Hauptgegner des Vorschlags?

Die meisten Gesprächspartner erkennen zunächst an, dass der Maßstab fair und gerecht ist. Dann aber sind alle sehr erschrocken, wenn sie hören, was bei einem solchen Kassensturz für ihr Land konkret herauskommt. Auch China kann zum Beispiel nur noch 24 Jahre innerhalb seines eigenen Budgets wirtschaften. Offen gegen einen solchen Ansatz sind die US-Republikaner, weil sie grundsätzlich gegen multilaterale Verpflichtungen sind. Wir haben mit Beratern der US-Regierung diskutiert, die den Grundsatz vernünftig finden, sich aber Sorgen machen, dass ein solcher internationaler Vertrag in den USA nicht durchsetzbar ist.

Kanzlerin Angela Merkel hat vor einigen Jahren selbst vorgeschlagen, jedem Menschen ein gleiches Emissionsrecht zuzuteilen. Gibt es Unterstützung von der Bundesregierung?

Ja, die Kanzlerin hat mit dem indischen Ministerpräsidenten Singh gemeinsam in diese Richtung argumentiert. Die neue Bundesregierung muss nun sehen, ob oder welche Elemente unseres Vorschlages sie in ihre Klimastrategie übernimmt.

Wir müssen allesamt unsere Emissionen runterfahren – bei Ernährung, Mobilität, Hausbau und Reisen

Sind Sie optimistisch, dass es in Kopenhagen einen entsprechenden Beschluss gibt?

Zu erhoffen ist, dass in Kopenhagen das 2-Grad-Ziel völkerrechtlich verbindlich vereinbart wird. Wenn wir sehr weit kämen, würde dann das Gesamtbudget von 750 Gigatonnen festgelegt. Das auf nationale Budgets herunterzubrechen würden die USA zurzeit nicht mitmachen, weil sie keine Gesetzgebung haben, die ihnen das erlaubt. Deshalb könnte das bestenfalls auf einer Folgekonferenz vereinbart werden.

Wie verändert sich unser Alltag, wenn wir ab 2015 jedes Jahr die Emissionen um 5 Prozent reduzieren würden?

30 bis 40 Prozent können eingespart werden, indem wir die existierenden modernsten Technologien anwenden bei Häusern, Autos, Waschmaschinen. Für den Rest müssen wir eine klimafreundliche Infrastruktur schaffen, also raus aus den fossilen Energieträgern.

Sie sprechen nur von neuen Technologien. Muss sich unser Lebensstil nicht ändern?

Wir müssen alle und jeder ganz persönlich unsere Emissionen runterfahren – bei Ernährung, Mobilität, Hausbau, Reisen, Fliegen.

Trotzdem fliegen Sie nach China, um Klimaschutzberater zu treffen. Ist das künftig auch nicht mehr drin?

Ich hoffe, dass sich die Videokonferenztechnik schnell so weit entwickelt, dass man damit wirklich gut und effektiv international zusammenarbeiten kann.