ROCKER OHNE ROCK
: Im Takt der Gewehrkugel

Hamburger Soundtrack

von Nils Schuhmacher

Was für Musik hören eigentlich Rockerbanden? Eine Antwort lieferte in den 1980er-Jahren die Braunschweiger Punkband Daily Terror, und sie lautete: Steppenwolf. Im ewigen Wechselspiel von Auflösung und Neugründung ist Steppenwolf-Sänger John Kay seit Langem eigentlich nur noch damit beschäftigt, Image und Erbe im Rahmen sporadisch stattfindender Auftritte auf staubigen Parkplatzflächen im fernen Amerika zu verwalten.

Die Hells Angels beschäftigten sich derweil immer weniger mit Musik und mehr und mehr mit „Rentner kleinhauen“ und „Schutzgelder eintreiben“, wie Daily Terror damals ebenfalls zu berichten wussten. Angesichts dieser, sagen wir: Transition wundert es nicht, dass auch die „Steppenwolf“ genannte Kneipe in der Schmuckstraße vor einiger Zeit ihre Pforten schloss – jener Laden, in dem sich die Rocker mit den von mehreren Fernsehgeräten ausgestrahlten Videos aus Hard’n Heavy (Tele 5) und Headbangers Ball (MTV) bei guter Laune halten konnten. Bliebe noch ein Steppenwolf in Wiesloch, in dem aber allem Anschein nach vor allem Grufties verkehren. Und da kann man als Rocker dann auch gleich in Hamburg bleiben und zum Motorradgottesdienst fahren, wie die Mitglieder der Hells Angels auf ihren Harleys. Beziehungsweise gehen, wie jene der Mongols, die häufig weder Untersatz noch Fahrerlaubnis besitzen.

Spätestens jetzt kommt auch die überraschende Antwort auf die Eingangsfrage: Besagte Gruppen füllt es vollständig aus, auf engstem Raum in den oben genannten und weiteren unschönen Disziplinen zu konkurrieren. Ihr Beat ist, siehe letzte Woche auf dem Kiez, der Takt der Gewehrkugel. Musik? Nein, Danke. Das ist schlecht zum Beispiel für die aus Nürnberg stammenden „Groben Popen“, die mit hartem Sound menschenfreundliche Botschaften zu platzieren versuchen, die Angels und Mongols dieser Welt aber nun mal nicht erreichen.

Gut hingegen ist das für Ben Caplan. Er heißt zwar wie ein Pfarrer und sieht aus wie ein Steppenwolf, aber der aus Haaren und Hornbrille bestehende Musiker aus dem kanadischen Halifax garniert seine Mixtur aus Americana, Klezmer und Gipsy-Folk mit einer Tom Waits wirklich nur streifenden Stimme auf eine Weise, die jeden Rocker verlässlich in die andere Richtung treibt. Und diese Richtung stimmt dann schon mal (12. 1., Nochtspeicher).