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Selbstverständlich tragen wir Schals mit dem Aufdruck „Team Haft“, Objektivität kann man von uns nicht erwartenGanz real im Epizentrum des Shitstorms

Ausgehen und Rumstehen

von Juri Sternburg

Es gibt Sätze für die Ewigkeit. „Die einen gehen in einen Darkroom und warten auf die Goldene Dusche. Andere gehen ins Internet und warten auf den Shitstorm. Wer sich gerne anpissen lässt, findet immer einen Weg“, ausgesprochen von Micky Beisenherz, könnte so einer werden. Schließlich ist der Shitstorm die Währung der Generation Y geworden, garantiert er doch jede Menge Clicks. Und wer aktuell Aufmerksamkeit braucht, der schreibt einfach einen schlechten Artikel über deutschen Rap oder parodiert gleich das ganze Genre.

„Läuft bei uns“, hätte man 2014 im WDR gesagt. Ganz egal ob Jetzt.de, Spiegel Online oder die Ikea-Bälleparadies-Version davon (also Bento), irgendwie fühlte sich in den letzten Wochen jeder bemüßigt, HipHop zu analysieren und sich dann seine Portion Häme abzuholen. Denn nicht nur im Rap gilt, wie die Underground-Koryphäen Audio88&Yassin unlängst feststellten: „Manchmal helfen Schellen.“ Wer an dumpfe Gewaltandrohung denkt, sollte sich das Lied einfach mal anhören.

Wir stehen auch längst im Epizentrum eines Shitstorms, aber nicht virtuell, sondern ganz real. Beim „Red Bull Soundclash“ treten einer der erfolgreichsten und einer der relevantesten Rapper gegeneinander an, namentlich Sido und Haftbefehl. Und natürlich geht es hier auch darum, sich gegenseitig mit Scheiße zu überschütten. In diesem Fall allerdings nicht real, sondern verbal. Glück gehabt.

Und da stehen die beiden jetzt, jeder auf seiner Seite der monströsen Halle, und kaspern herum. Während Sido sich in letzter Zeit mit so rührseligen Radionummern wie „Einer dieser Steine“ oder „Astronaut“ in den Pop-Olymp schoss, bringt Haftbefehl am Tag des Soundclashs ohne jegliche Vorankündigung ein Mixtape heraus, das seine Relevanz im Metier Strassenrap nochmals untermauert. Düster, depressiv und aggressiv trifft auf klassische „Kopf hoch“-Mucke.

Das Bühnenbild ist ebenfalls ein Spiegelbild der Künstler. „The Artist formerly known as the Maskenmann“ hat sich eine komplette Band, ein paar Backgroundsänger, einen DJ und weitere Rapper auf die Bühne gestellt. Haft steht alleine in seiner 4.000-€-Jacke auf der Bühne, lediglich ein DJ im Hintergrund, und ruft nur „Ich dachte, das wäre eine HipHop-Show“ in Richtung seines Gegners. So ist das eben, „cashrules everything around me“, das wusste doch auch schon der WuTang-Clan.

Beide haben sich ein paar spezielle Gäste eingeladen, bei Baba Haft betreten unter anderem der Hamburger Liedermacher Olli Schulz und Xatar die Bühne. Xatar hat gerade erst eine langjährige Haftstrafe wegen eines millionenschweren Bankraubs abgesessen, so läuft das auf dieser Seite der Halle. Gegenüber kommt der Rucksack-Rapper Laas aus dem Off gesprungen und gibt die Marionette für Sido, in dem er in klassischer Battle-Manier abstruse Vorwürfe in Richtung des Offenbachers schickt. Bei „Du bist der Max Herre der Straße“ lässt unsere Aufmerksamkeit dann komplett nach, dümmer wird’s heut nicht mehr.

Selbstverständlich tragen wir Schals mit dem Aufdruck „Team Haft“, Objektivität kann man von uns nicht erwarten. Wir haben uns längst dem Wodka hingegeben, Sido den Rücken zugedreht und unsere Wahl getroffen.

Was übrig bleibt: Der Shitstorm ist zum kulturellen Allgemeingut geworden. Während sich die Künstler künstlich beschimpfen, das Publikum lediglich für den eigenen Favoriten jubelt und den Kontrahenten ausbuht, versuchen die Beobachter das Ganze schlechtzureden. Die Musik bleibt irgendwo unterwegs auf der Strecke. Schade eigentlich.

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