Kinder gehen auf den Zeiger

Weil es zu wenig geeignete Betreuungsplätze gibt, verzichtet jede dritte Mutter auf einen Job. Wissenschaftler fordern, dass für Familien zeitlich flexiblere Angebote geschaffen werden müssen

AUS DÜSSELDORFNATALIE WIESMANN

Jeder dritte Mutter in Nordrhein-Westfalen wird am Arbeiten gehindert, weil eine passende Kinderbetreuung fehlt. Das ist Ergebnis einer Studie des Gelsenkirchener Institut für Arbeit und Technik (IAT), die auftraggebende Hans-Böckler-Stiftung gestern in Düsseldorf vorgestellt hat. Die Angebote zur Kinderbetreuung seien nicht an die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes angepasst, kritisiert IAT-Studienautorin Sybille Stöbe-Blossey.

Während fast 90 Prozent der Mütter arbeiten wollen, hätten nur 55 Prozent eine Betreuung und könnten tatsächlich arbeiten gehen. „Wer für die untypischen Arbeitszeiten nicht auf Großeltern oder Freunde zurückgreifen kann, hat erhebliche Schwierigkeiten“, sagt sie. Mit der Studie solle nun Druck auf die Politik gemacht werden.

Von den Kinder-Einrichtungen würden meist nur „Einheitslösungen“ angeboten: Entweder die Kinder werden fünf Tage von morgens bis spätnachmittags betreut oder nur vormittags. Teilzeitarbeitsplätze erforderten aber flexiblere Modelle: „Teilzeit heißt in den meisten Fällen nicht mehr halbtags.“

Besonders unzureichend seien die Angebote für die 480.000 Kinder unter drei Jahren. „Hier ist der Bedarf in keiner Weise gedeckt“, sagte Stöbe-Blossey. Bemerkenswert sei, dass sich viele Mütter zumindest tage- oder stundenweise einen Krippenplatz wünschten. Dies zeige, dass längst nicht mehr die Mehrheit der Frauen meinten, dass ein Kind in diesem Alter nur in der Familie betreut werden solle.

Bundesländer wie Hamburg und Bayern seien in der Flexibilität bei der Kinderbetreuung weiter als NRW. Um die Lage zu verbessern, will die Hans-Böckler-Stiftung die Ergebnisse der Studie auf einer Konferenz im November mit Vertretern von Landesregierung und Kommunen diskutieren, sagt Erika Mezger, bei der Stiftung für die Forschungsförderung zuständig. „Es ist auch für die Gleichstellung von Mann und Frau von hoher Bedeutung, dass diese Erkenntnisse umgesetzt werden.“

Die unflexible Kinderbetreuung gehe vor allem zu Lasten benachteiligter Schichten, die überdurchschnittlich in Teilzeit und zu atypischen Zeiten beschäftigt seien, sagt Mezger. Wegen der Kosten für den Kindergarten und einer zusätzlichen Tagesmutter würde sich dort ein Teilzeitjob oft nicht lohnen. Die VertreterInnen der Studie schlagen deshalb vor, eine Kernzeit für die Betreuung festzulegen, die vom Staat finanziert wird. Dazu könnten – wie beispielsweise in Bayern – Eltern zusätzliche Stunden „einkaufen“.

Die von der neuen Landesregierung verfolgte Idee der Familienzentren, die Kindergärten, Tagesmütter und Familienberatung verknüpfen soll, weise in die richtige Richtung, sagt Stöbe-Blossey. „Der Schwerpunkt der Kinderbetreuung sollte allerdings auch aus pädagogischen Gründen in den Einrichtungen bleiben.“