Deutsche Apartheid

Ein Asylbewerber verreiste ohne Amtserlaubnis. Jetzt wird ihm eine Tat zur Last gelegt, die Deutsche gar nicht begehen können: Verstoß gegen die Residenzpflicht. Kritik von Flüchtlingsverbänden

Koloniale Tradition: Einst gab es Register für Eingeborene und Blechmarken

von Reimar Paul

Er solle seine finanziellen Verhältnisse offen legen oder es drohe ein Haftbefehl – zur Klärung dieser Frage wurde Cornelius Yufanyi gestern ins Göttinger Amtsgericht bestellt. Dem aus Kamerun stammenden Mann wird eine Tat zur Last gelegt, die Deutsche gar nicht begehen können. Als Asylbewerber reiste Yufanyi ohne behördliche Erlaubnis in eine andere Stadt und verstieß damit gegen die so genannte Residenzpflicht.

Die Residenzpflicht ist im Asylverfahrensgesetz festgeschrieben. Die Regelung besagt, dass Flüchtlinge während ihres Asylverfahrens den Bereich der für sie zuständigen Ausländerbehörde, in der Regel also eine Gemeinde oder Landkreis, nicht ohne schriftliche Bewilligung verlassen dürfen.

Vor fünf Jahren lebte Cornelius Yufanyi in einem abgelegenen Flüchtlingswohnheim im thüringischen Landkreis Eichsfeld. Weil er sich an der Organisation eines internationalen Flüchtlingskongresses in Jena beteiligen wollte, beantragte er beim Ausländeramt Reise-Genehmigungen. Die wurden ihm verweigert. Yufanyi habe sein „Kontingent“ für den Besuch politischer Veranstaltungen bereits ausgeschöpft, hieß es. Der Afrikaner fuhr dennoch nach Jena – ohne Genehmigung. Ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde entdeckte kurz darauf ein Interview mit Yufanyi in einer Zeitung und zeigte ihn an.

Daraufhin schickte die Polizei Yufanyi einen Strafbefehl. Dagegen legte der Flüchtling Widerspruch ein, es kam zum Prozess. Das Angebot des Amtsgerichtes Worbis, das Verfahren bei Anerkennung einer geringen Schuld einzustellen, wies Yufanyi zurück. „Ich will einen Freispruch erreichen und werde keine noch so geringe Strafe akzeptieren“, sagte er damals. In einer weiteren Gerichtsverhandlung wurde Yufanyi zu einer Geldstrafe verurteilt.

Bewegungsfreiheit und Bestimmung des Aufenthaltsortes seien elementare Rechte, argumentiert der Afrikaner, der 1998 nach Deutschland floh, inzwischen in Göttingen Forstwissenschaft studiert, geheiratet und Kinder hat. Yufani verweist auch auf die koloniale Tradition, in der die Residenzpflicht steht. Schon in ihren Kolonien hätten die Deutschen versucht, die Bewegungsfreiheit der Kolonisierten zu unterbinden. Damals gab es dafür ein „Eingeborenenregister“ und eine Blechmarke als Passersatz. Da jede Marke nur in einem Bezirk gültig war, konnten die Besatzer jederzeit feststellen, ob Afrikaner unerlaubt ihren Distrikt verlassen hatten. Eine der früheren deutschen Kolonien war Kamerun, das Herkunftsland von Cornelius Yufanyi.

Zahlreiche Organisationen teilen Yufanyis Ansicht und unterstützen ihn. „Die Residenzpflicht ist ein Apartheidsgesetz“, erklärt der Niedersächsische Flüchtlingsrat. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie nennt die Regelung ein „diskriminierendes Sondergesetz gegen Asylsuchende“. Sie sei „in besonderer Weise dazu geeignet, die politische Brandrede vom kriminellen Ausländer zu bestätigen“. Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR hat schon mehrfach an deutsche Behörden und Gerichte appelliert, die Residenzpflicht zu überprüfen. Der Paragraph sei mit internationalem Recht, insbesondere der Genfer Flüchtlingskonvention, nicht zu vereinbaren.

Wenn er die Geldstrafe von rund 320 Euro bezahlt, kann Cornelius Yufanyi die drohende Inhaftierung immer noch abwenden. Aber das will er nicht, den Termin beim Amtsgericht sagte er gestern Nachmittag nach Absprache mit seinem Anwalt ab: „Ich werde für mein Recht auf Bewegungsfreiheit nicht bezahlen und bin bereit, dafür auch ins Gefängnis zu gehen“.