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Opern-Skandal in HannoverDeutschtümelnde Klischees

Gegen Kay Voges’ Umgang mit dem „Freischütz“ laufen CDU-Lokalpolitiker Sturm. Gegenwartsbezug bewahrt die Inszenierung vor Beliebigkeit.

Wider die Nationaloper: Von Kay Voges durfte man eine Abrechnung mit Pegida, brennenden Flüchtlingsheimen und NSU erwarten. Foto: Thomas M. Jauk (Stage Picture)

HANNOVER taz | Heißa, was für ein Opernskandal in Hannover. Die Dirigentin hält während der Premiere ein Schild hoch mit der Aufschrift: „Ich distanziere mich von dieser Szene.“ Zuschauer rufen „aufhören“, empören sich schließlich mit Buhrufen, bösen Einträgen ins Theatergästebuch und Pöbeleien im Internet. CDU-Lokalpolitiker laufen gleich mal kulturpolitisch Amok. In einer Pressmitteilung heißt es, „ein unsäglicher Kulturverlust zu Gunsten vermeintlich wichtiger Dekonstruktion“ müsse doch den Kulturdezernenten zum Eingreifen veranlassen. Zensur? Herrlich, diese Aufregung.

Wunderbar fürs Theater, denn nichts bringt bundesweit so schnell, so kostengünstig so viel Aufmerksamkeit wie ein vermeintlicher Skandal. Da freut sich die Staatsoper Hannover, denn die letzten skandalisierten Aufführungen waren die von Calixto Bieito und liegen schon über zehn Jahre zurück. Da kommt Dortmunds Schauspielchef Kay Voges gerade recht zur Bescherungszeit. Der Kritikerliebling grätscht mit seinem „Freischütz“ (nach Carl Maria von Weber) in einen öden Dezemberspielplan und bietet den einzigen Gegenpol zu einer seit 50 Jahren vor sich hinstaubenden „Hänsel und Gretel“-Inszenierung.

Die Trostlosigkeit dieses aktuellen Hannoveraner Opernangebots könnte böswillig als „symptomatisch für den Verfall eines ganzen Hauses“ bezeichnet werden, aber die CDU bezieht die Formulierung einzig auf den „Freischütz“. Und verkennt dabei, dass Theater zeitgenössische Inszenierungskunst ist. Wer sich nur für längst niedergeschriebene Worte und Noten interessiert, kann diese daheim lesen und hören. Live darüber den Diskurs anregen, das soll das Bühnengeschehen.

Und wenn als Animator Kay Voges fungiert, weiß jeder Besucher nach ein paar Rechercheklicks im Internet, dass der Regisseur seinen eigenen Zugriff deutlich und dabei Theater, Live-Video und Film in einer Multimediaperformance vereinen wird. Wider die Nationaloper. Das kurz nach Ende des Dreißigjährigen Krieges angesiedelte, 1821 uraufgeführte Werk sei, so Dramaturg Klaus Angermann, „mit den entsprechenden Attributen des deutschen Waldes, biedermeierlicher Idylle und schwarzer Schauerromantik zu einem Denkmal deutscher Identität und deutscher Kultur geworden“.

Deswegen wolle Voges derartiges Nationalpathos hinterfragen, das „heute bei denjenigen zunehmend Anklang findet, die auf ihren Veranstaltungen mit verklärtem Blick auf ein Tausendjähriges Reich auch schon mal die erste Strophe des Deutschlandliedes anstimmen und den Begriff im Sinne einer Abgrenzung von allem Fremden und dem Ideal einer geschlossenen Gesellschaft okkupieren.“

In Opernhäusern seit Jahrzehnten Konsens

Dass Voges also eine Abrechnung mit deutschtümelnden Klischees versucht, mit Pegida, brennenden Flüchtlingsheimen, NSU, Fußball-Hooligans etc., scheint der Wirklichkeit geschuldet – und ist auf deutschen Opernbühnen seit Jahrzehnten Konsens. Gerade durch solche Zugriffe (ob gelungen oder nicht) beweist das Theater, dass es Vorlagen nicht „ins Niveaulose und Beliebige“ zieht, was die CDU nun gerade von Voges behauptet.

In Bremen hatte 2013 übrigens Sebastian Baumgarten mit dem „Freischütz“ gezeigt, wie das Gedankengut des Stückpersonals für Kolonialismus und Faschismus nutzbar gemacht werden konnte. Kein Skandal. 2009 ging es in Osnabrücks „Freischütz“ um Kriegserfahrungen. Die NOZ erinnert sich an die Arbeit von Lorenzo Fioroni, die den Jäger Max zum „traumatisierten Afghanistan-Heimkehrer“ gemacht und die Wolfsschluchtszene als Ego-Shooter-Spiel in seinem Kopf angesiedelt habe.

Den Empörten in Hannover sei zugerufen: Wer den „Freischütz“ einmal in einer CDU-Version sehen möchte, die zur Vorlage also nichts zu sagen hat und sich in Zeiten zurückträumt, die es nie gab, der sollte die Spielzeitplanungen des Staatstheaters Oldenburg im Blick behalten. Dort werden solche Repertoirehits gern mal frei von Zusatzstoffen als Publikumshits auf die Bühne gebracht.

In Hannover geben derweil viele Opernfans ihre „Freischütz“-Karten zurück, bestätigt die Staatsoper. In gleichem Maße ziehe aber auch der Vorverkauf an.

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