Berlinmusik

Schwellen und Serails

Schwellenkomponist. Das Wort klingt ein bisschen abwertend, wie bei Schwellenländern, die an der Schwelle zu bestimmten Wohlstandsstandards stehen, aber noch nicht ganz in der oberen Liga mitspielen dürfen. Gemeint sind jedoch Tonkünstler am Übergang von einer Epoche zur nächsten. Und das Bild dazu ist eigentlich ganz schön: Man denke sich einen Komponisten, der in einem Türrahmen verweilt und zögert, ob er hineingehen soll, entweder weil ihm der Raum dahinter fremd oder gar unheimlich erscheint, oder weil er unsicher ist, ob es zu Hause nicht doch besser ist.

Jean Sibelius war so ein Schwellenkomponist, der Musik an der Grenze von Romantik und Moderne schrieb. Tonale Musik, die aber das Vokabular von Dur und Moll, so weit es irgendwie ging, ausreizte, ohne die harmonische Ordnung, wie in der Moderne dann später geschehen, komplett über Bord zu werfen. Vor 150 Jahren wurde der Finne geboren, der als der größte Komponist seines Landes gilt, gestorben ist er 1957, und er hat bis zuletzt auf den Tonarten beharrt. Auch in seinen Symphonien, die Simon Rattle jetzt zum zweiten Mal komplett eingespielt hat.

Die Berliner Philharmoniker, mit denen der Dirigent die Geburtstagseinspielung des Sibelius-Zyklus besorgt hat, klingen brillant und vorbildlich schlank, was besonders in den federnd-energischen ersten beiden Symphonien zur Geltung kommt. Auch in seiner letzten – in C-Dur gehalten und anders als bei seinem österreichischen Schwellenkollegen Gustav Mahler, der gern ausufernd komponierte, auf kompakte 20 Minuten beschränkt – hebt Rattle die Eleganz hervor. Nordische Schwere findet sich hier kaum.

Eleganz – in diesem Fall auf historischen Instrumenten – bietet auch die Einspielung von W. A. Mozarts Oper „Die Entführung aus dem Serail“ unter dem Dirigenten René Jacobs, der seinen Mozart-Zyklus damit würdig beschließt. Alle Beteiligten – die Solisten, der Rias Kammerchor und die Akademie für Alte Musik Berlin – beleben mit transparenter Virtuosität Mozarts auf Deutsch gesungene und in ausführlichen Dialogen gesprochene Botschaft, „dass nicht nur Europa, sondern auch Asien tugendhafte Seelen erzeugen kann“. So sprüht Mozarts „türkische Musik“ mit prominenten Becken und Piccoloflöten – im Orchester damals noch Exoten – bei Jacobs feine Funken. Tim Caspar Boehme

Jean Sibelius: „Symphonies 1-7“, Sir Simon Rattle (Berliner Philharmoniker Recordings)

W. A. Mozart: „Die Entführung aus dem Serail“, René Jacobs (Harmonia Mundi)