Die Zeit ist ein Hund

Gut, eigentlich soll es hier ja vor allem um Musik gehen. Weil allerdings zur Musik des öfteren gesungen wird, muss es auch um Sprache gehen. Vor allem heute, vor allem wenn Sorry Gilberto singen. Denn man fragt sich sofort: Singen Anne von Keller und Jakob Dobers auf ihrem neuen Album „Construction Work & Stormy Weather“ absichtlich, als hätten sie im Englischunterricht ausgerechnet das Sprachlabor systematisch geschwänzt?

Gitarrist Dobers hat früher als Zimtfisch deutsch getextet, hier aber dichtet er ebenso im fremden Idiom wie seine Partnerin. Und genau das scheinen die beiden mit ihrem akzentgeschwängerten Vortrag klarmachen zu wollen: dass sich jemand zu orientieren versucht in einem Terrain, in dem er zwar nicht aufgewachsen ist, sich aber doch aufgrund gründlicher Sozialisation mit angloamerikanischem Pop ganz gut auskennt. So hört man immer wieder Zeilen, die wie Versatzstücke aus klassischen Popsongs klingen, aber nicht nur verbal, sondern auch semantisch leicht verschoben sind. Sätze wie: „Time’s not running, time is sweet / Time’s a dog next to your feet“.

Die Musik verfährt nach vergleichbaren Prinzipien: Eigentlich ist es Folk, aber immer wieder fährt ein ungehobelter Ton durch die akustische Idylle, bricht eine schräge Harmonie die Konventionen, ohne dass gleich das ganze Gerüst einstürzen würde. Das Ergebnis ist ein ganz eigener, aber halt auch ziemlich einzigartiger Entwurf, in dem Popmusik die eigenen Produktionsbedingungen thematisiert, ohne an Theoriegedöns zu ersticken. Oder anders: Was so seltsam und eckig klingt, ist eigentlich ziemlich raffiniert und elegant.

Einen ganz anderen, nicht minder wichtigen Zweck erfüllt die Sprache bei Karsten Troyke: Indem er mit „Noch Amul! – Tango oyf Yiddish Vol. 2“ innerhalb von sechs Jahren zum zweiten Mal alte jiddische Tangos aufgenommen hat, rettet er nicht nur ein obskures Nischenthema vor dem Vergessen, sondern hilft auch eine sterbende Sprache zu bewahren. Denn es wäre auch ein Jammer, wenn das Jiddische nicht mehr gesungen würde. Hat es doch von seiner Verwandten, dem Deutschen, eine gewisse Sperrigkeit, besitzt aber andererseits auch eine osteuropäische Geschmeidigkeit. Das passt perfekt zum Tango, dem dieselbe innere Spannung inne wohnt.

THOMAS WINKLER

■ Sorry Gilberto: „Construction Work & Stormy Weather“ (GoldRausch/ Rough Trade), live am 13. 1. im Ballhaus Ost

■ Karsten Troyke: „Noch Amul! – Tango oyf Yiddish Vol. 2“ (Oriente Musik), live am 15. 1. in der Anton-Saefkow-Bibliothek