Die Revolution von gestern

Was für ein Wahnsinn dieser Sound doch war! Nachdem im April der Tresor endgültig schließen musste, meldet sich das zum Club gehörende Label jetzt mit einer umfangreichen Compilation zurück und behauptet trotzig „It’s not over“

„It’s not over“ steht da grau auf schwarz. Daneben ein Foto des verblichenen Clubs Tresor, der sich ebenfalls grau abhebt von dem tiefen Schwarz um ihn herum. So sieht das Cover der neuen Tresor-Compilation aus, der 13. inzwischen, einer Doppel-CD.

Das Bild lädt zu unterschiedlichen Assoziationen ein: Der alte Underground-Techno-Spirit des im April abgewickelten Clubs in der Leipzigerstraße wird nostalgisch verklärt, Schwarz bildet den passenden Trauerflor, doch gleichzeitig gibt man sich kämpferisch. Man kommt zurück, man ist bereits wieder da, man war nie verschwunden, und: Es ist nicht vorbei.

Vom „Tresor-Spirit“ ist denn auch auf der Website des Labels die Rede. Schließlich finden mittlerweile überall in den Clubs dieser Welt „Tresor Nächte“ statt. Die vorliegende Compilation, auf der exklusive Tracks von Produzenten versammelt wurden, die im April auf dem zweiwöchigen Abschlussgottesdienst im Tresor aufgelegt hatten, soll denn auch mehr sein als ein Memorial: Man wird mit diesem Sampler nochmals Europa betouren. Hurra, wir leben noch!

Leichter wird es auf Dauer nicht, den Spagat zwischen eigenem Mythos und dem eigentlichen Spirit aufrecht erhalten zu können. Der Tresor schleppte sich ja bereits in den letzten Jahren seiner Existenz eher so über die Runden und galt als legendärer Laden, der seine besten Zeiten hinter sich hatte. Dazu kommt, dass die Zeitschrift De:Bug in ihrer letzten Ausgabe in einem Schwerpunktthema festgestellt hat, dass der typische Detroit-Techno-Sound, für den der Tresor und Berlin jahrelang standen wie kein anderer Club und keine andere Stadt, inzwischen nach Amsterdam verzogen sei.

Schwer zu schaffen macht dem Tresor auch, dass er von manchen bloß noch wie eine Leiche angesehen wird, die man ohne schlechtes Gewissen schänden kann. In Italien zumindest haben die ersten Partys unter dem Namen „Tresor Glamour Club“ stattgefunden, auf denen unverhohlen mit dem Tresor-Logo geworben wurde, ohne in Berlin überhaupt einmal nachgefragt zu haben.

Über die Compilation selbst kann man sich kaum beschweren, auch wenn einschlägige Namen, die eng mit dem Tresor verbunden waren – etwa Jeff Mills – fehlen. Techno-Urgestein wie Joey Beltram oder DJ T-1000 tritt genauso an, wie die im Tresor groß gewordene jüngere Berliner Generation, etwa Pacou oder Sender Berlin. Tracks haben zur Message passende Titel wie „Over it’s not“ oder „Tresorrr“, einige Produzenten können sich also anscheinend wirklich mit dem Anliegen des Samplers identifizieren.

Hört man diesen ganzen doch recht typischen Tresor-Techno, der selbst in voll auf Abfahrt programmierten Clubs wie dem Berghain immer weniger eine Rolle spielt, kommen gemischte Gefühle auf. Einerseits denkt man, was für ein Wahnsinn dieser Sound doch war, was für eine Energie und Brutalität er transportierte. Doch andererseits wird man auch recht schnell müde und hat das Gefühl, hier würde etwas künstlich am Leben erhalten, eine Revolution von gestern als etwas verkauft, was gerade eben statt finden würde. Diese Compilation bietet wohl doch weniger eine Ahnung von einem Neubeginn, sondern ist ein weiterer Schritt auf einem qualvollen letzten Weg, einem Abschied nehmen auf Raten.

ANDREAS HARTMANN

„It’s not over“, Tresor Compilation Vol. 13 (Tresor/Neuton)