Schluss mit stiller Nacht

An der Baustelle am Alex darf jetzt rund um die Uhr gebuddelt werden. Die Anwohner leiden unter dem Lärm. Das neue Immissionsschutzgesetz lässt die Berliner Abende künftig noch lauter werden

VON RICHARD ROTHER

Wenn man abends wegen Lärm nicht schläft, kann das verschiedene Ursachen haben: Mal kommt der Nachbar besoffen nach Hause und poltert im Treppenhaus herum. Mal jagt ein verrückter Motorradfahrer durch die Nebenstraße. Mal schaut einfach nur jemand im Nebenzimmer Fernsehen, der nicht schnell genug die – unverschämterweise – automatisch lauter eingestellte Werbung wegklickt.

Permanente Sorgen hingegen haben die Anwohner an der Riesenbaustelle am Alex, wo das Einkaufscenter Alexa entsteht. Hier darf bis Ende November fünf Wochen lang rund um die Uhr gebuddelt werden.

Die Bauverwaltung habe eine entsprechende Sondergenehmigung erteilt, sagte Behördensprecherin Petra Roland gestern. Der Grund: Es habe Probleme mit dem feuchten Baugrund gegeben. Um diese zu beheben, nutzten die Baufirmen ein Verfahren, das einen 24-stündigen Betrieb erfordere. Das Ganze sei „nicht schön, aber eine technische Notwendigkeit“. Für die Anwohner sei dies vermutlich das kleinere Übel, weil sich so die Bauzeit nicht verlängere.

Die Bauverwaltung mache „Lärmschutz zum Schutz der Investoren, leider nicht zum Schutz der AnwohnerInnen“, kritisiert die Grünen-Umweltpolitikerin Felicitas Kubala. Auf Briefe verärgerter Bürger habe die Verwaltung abwiegelnd reagiert.

Dass es viele Beschwerden gab, räumt Behördensprecherin Roland ein. Die Verwaltung prüfe, ob gegen die Verantwortlichen der Baustelle ein Ordnungsverfahren eingeleitet werde, weil die Lärmgenehmigungen umgangen worden seien. Allerdings ist Lärm nicht gleich Lärm: So sei der Verkehrslärm dort oft höher als der Baulärm, so Roland. „Aber den nehmen die Anwohner aus Gewohnheit anders wahr.“ Das Phänomen bestätigen Lärmforscher (siehe Interview).

An eine lautere Stadt müssen sich die Berliner in Zukunft ohnehin gewöhnen. Hintergrund ist das neue Landes-Immissionsschutzgesetz, das noch in diesem Jahr verabschiedet werden soll; in knapp zwei Wochen findet die entscheidende Sitzung des zuständigen Umweltausschusses statt. Das Gesetz hebt die so genannten werktäglichen Ruhezeiten von 6 bis 7 Uhr sowie 20 bis 22 Uhr auf. Für Anwohner in reinen Wohngebieten ändere sich aber nichts, da Bundesgesetze den bisherigen Lärmschutz aufrechterhalten, sagt Wolfgang Bergfelder, Umweltexperte in der Stadtentwicklungsverwaltung. Für Anwohner in so genannten Mischgebieten – hier fallen Wohnen und Gewerbe zusammen – könne es mit dem neuen Landesgesetz allerdings lauter werden.

In den Gebieten, zu denen belebte Gegenden der Innenstadt gehören, bräuchten dann Kneipenwirte keine Ausnahmegenehmigungen wegen Lärms beantragen, wenn sie Stühle auf die Straße stellen wollen. Ab 22 Uhr bleibt aber alles beim Alten.

Die Grünen kritisiert das Gesetzvorhaben der rot-roten Koalition dennoch heftig. „Man muss die Summe der Lärmbelastung der Bürger sehen.“ Schon heute würden Ruhezeiten immer wieder überschritten – etwa durch Ausnahmegenehmigungen oder einfach durch Ignoranz der Lärmverursacher. „Künftig werden Geschäfte in Wohngebieten noch früher beliefert“, befürchtet Kubala. Die Ruhezeiten müssten deshalb zum Schutz der lärmgeplagten BerlinerInnen erhalten bleiben.