ZURÜCK IN MOABIT
: Auf ein Neues

Wir arbeiten alle an der Sauberkeit unseres Bezirks mit

Über Silvester waren wir nicht zu Hause, das rächt sich. Unser Kiez, wo die Kneipen Zum Humpen heißen, hat uns an ein kleines Dorf in Brandenburg verloren, ohne Kneipe. Wir nächtigten auf einem Biohof in einem liebevoll renovierten Stall, auf der Wiese freilaufende Schweine mit fröhlichen schwarzen Tupfen, eine uralte Rasse. Geböllert wurde nicht viel, um Mitternacht liefen wir um den Dorfteich und tauschten mit unbetrunkenen Menschen Neujahrswünsche aus. Um halb eins war Ruhe.

Nach Hause zurückgekehrt, finden wir unseren Kiez jahreszeitgemäß etwas ramponiert vor. Reden wir nicht von den Böllerresten, die vor der Kneipe in unserem Haus den Gehsteig verkleben. Nein, Anarchie sieht anders aus: die Messingstangen, die den Bastteppich im Treppenhaus auf den Stufen festhalten, sind in allen vier Stockwerken verschwunden. Das gehört jetzt zum Zeitgeist, sagt die Nachbarin. Gentrifizierung ist das nicht, denke ich und ziehe die Tür hinter mir zu. Auf den Schreck hin schicke ich meinen Freund Brötchen holen. Als er wiederkommt, berichtet er von einem blutigen Schweinebein, so lang wie ein Unterarm, das im Hof vor der Mülltonne gelegen habe, komplett mit Haxe und Fuß, bereits etwas angebissen. Die Eisbeinwelle hat unseren Hinterhof erreicht, erklärt er. Unser beherzter Nachbar aus dem Kosovo, der zufällig dazukam, habe das Schweinebein mit einem Stück Zeitung angefasst und kurzerhand in den Müll geworfen. Wir arbeiten nämlich alle an der Sauberkeit unseres Bezirks mit. Plastiktüten mit undefinierbaren Essensresten, alte Matratzen und kaputte Drucker bleiben hier nicht lange liegen, und jede leere Pfandflasche wird dringend gebraucht.

Liebes Moabit, mögest du dich auch im neuen Jahr gegen die Zivilisation aufbäumen, wir lieben dich. Aber eine Frage haben wir noch: Wo ist der Rest vom Schwein? RUTH JOHANNA BENRATH