Dominanz des Menschen

NEUES ZEITALTER Im Haus der Kulturen der Welt startet heute „Das Anthropozän-Projekt“. Dazu erklärt der Geologe Jan Zalasiewicz in seinem Text, dass es trotz einer drohenden Katastrophe auch Hoffnung gibt – für die Katze

■ Die Bezeichnung Anthropozän stammt aus dem Griechischen und bedeutet „das menschlich (gemachte) Neue“. Womit mit dem menschlichen Zugriff auf unsere Welt das zentrale Motiv des „Anthropozän-Projekts“ benannt ist, das heute im Haus der Kulturen der Welt startet: eine Grundlagenforschung mit den Mitteln der Kunst und der Wissenschaft. In einer ersten Runde wird dabei bis zum Sonntag mit Gesprächen, Performances und sonstigen künstlerischen Interventionen untersucht, ob unsere Vorstellung von der Natur überholt ist.

■ Am Freitag um 20 Uhr hat dabei Jan Zalasiewicz, Autor des Textes auf dieser Seite und Geologe von der Universität von Leicester, seinen Auftritt. Mit Katze. Mehr zum „Anthropozän-Projekt“ heute im taz.plan und unter www.hkw.de.

VON JAN ZALASIEWICZ

Am Freitagabend wird im Haus der Kulturen der Welt eine Katze im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Für wenige Minuten wird sie das Anthropozän symbolisieren, unsere Gegenwart, eine der außergewöhnlichsten Episoden in der langen Geschichte unseres Planeten. Unvorhersehbar wie die Katze. Wird sie sich setzen und ihre Pfoten lecken oder versuchen wegzulaufen, oder wird sie vielleicht den Moderator kratzen? Das zukünftige Verhalten unseres Planeten ist wie das der Katze unberechenbar.

Die Hauskatze, Felis silvestris catus, zählt unter den Biospezies der Erde zu den wenigen GewinnerInnen des Anthropozäns, jener Epoche, in welcher der Mensch damit begonnen hat, die geologischen Vorgänge an der Erdoberfläche zu beherrschen. Das Anthropozän steht im Mittelpunkt eines bedeutenden neuen Projekts im Haus der Kulturen der Welt, und das aus gutem Grund. Seine Auswirkungen führen die Erde und all ihre BewohnerInnen auf unbekanntes Terrain. Die Welt wird buchstäblich nie mehr dieselbe sein – und das Schicksal unserer eigenen Spezies, wie das so vieler anderer, hängt davon ab, wie das Anthropozän sich entwickelt.

Die Idee des Anthropozäns ist alt – fast schon so alt wie die Geologie selbst. Doch wurde sie von GeologInnen bisher nicht ernst genommen. Schließlich reicht die Geschichte der Erde weiter zurück, als wir es uns vorstellen können, und wurde von vielen großen Veränderungen gekennzeichnet. Ozeane entstanden und versiegten, Kontinente spalten sich ab und kollidierten. Doch nur die bedeutendsten dieser Ereignisse werden von GeologInnen herangezogen, um die Erdgeschichte in offizielle geologische Zeiteinheiten einzuteilen, etwa der Jura und das Karbon. Diese repräsentieren de facto planetare Dynastien, unter denen die Erde von einem Zustand in einen anderen überging.

Die geologischen Zeiteinheiten werden hierarchisch festgelegt: größere werden in kleinere unterteilt. Die größte Einheit ist der Äon; derzeit leben wir im Äon des Phanerozoikums. Er begann vor mehr als fünfhundert Millionen Jahren, als alle wichtigen Gruppen der mehrzelligen Tiere auf der Erde auftauchten, was geologisch überraschend kam (das heißt im Laufe von etwa zehn Millionen Jahren) und aus Gründen, die der Wissenschaft bis heute schleierhaft sind.

Dinosaurier als Opfer

Die letzten 65 Millionen Jahre des Phanerozoikums nennt man Känozoikum oder Erdneuzeit. Sie begann mit einem wahrhaften Massenvernichtungsereignis, das wahrscheinlich durch einen massiven Meteoriteneinschlag auf dem Gebiet des heutigen Mexikos verursacht wurde. Die berühmtesten Opfer dieser Katastrophe waren die Dinosaurier (obwohl ihr Verschwinden es unseren Vorfahren, den Säugetieren, ermöglichte, aus ihrem Schatten zu treten). Wir leben nun in den letzten 2,6 Millionen Jahren des Känozoikums, dem Quartär, das mit den vollen Eiszeitaltern begonnen hat. Innerhalb dieser werden die letzten 11.600 Jahre als Holozän-Epoche bezeichnet. Es sind zwar nur die letzten von vielen Veränderungen zwischen warmen und glazialen Bedingungen in den Eiszeitaltern, doch haben eintretende Wärme und ein konstanter Meeresspiegel es der menschlichen Zivilisation erlaubt, zu wachsen und zu gedeihen.

Wie konnte die kurzzeitige Dominanz des Menschen im Vergleich mit derartigen Veränderungen als wahrhaft bedeutendes Kapitel der Geschichte dieses Planeten betrachtet werden?

Vor etwas mehr als zehn Jahren behauptete der in Mainz lebende Nobelpreisträger und Atmosphärenchemiker Paul Crutzen, der Einfluss des Menschen sei, wenn auch temporär, so doch weltverändernd. Die durch den Menschen verursachte Veränderung der Atmosphäre, der Ozeane und des Bodens habe, so Crutzen, die Welt aus dem Holozän in eine Epoche namens Anthropozän gestoßen. Zu einer Zeit, da das Ausmaß des menschlichen Einwirkens auf die Erde zunehmend deutlicher wurde, sollte der Begriff Anthropozän schon bald weithin genutzt werden, und zwar innerhalb wie außerhalb der Wissenschaft.

Noch ist das Anthropozän inoffiziell. Eine Arbeitsgruppe der Internationalen Kommission für Stratigrafie (ICS) untersucht derzeit, ob man es offiziell machen sollte, um es in den Jura, das Pleistozän und die übrigen Einheiten der geologischen Zeitskala einzureihen. Der Prozess wird Jahre dauern: GeologInnen sind sehr vorsichtig, wenn es um die Modifizierung des offiziellen Zeitrahmens der Erde geht.

Einiges spricht jedoch für Paul Crutzens Vorschlag. Menschen bewegen heute mehr Sediment (die Schicht der Zukunft) über die Erdoberfläche als Wind, Regen und Flüsse. Einen Teil davon wandeln sie in neuartige Felsen und Mineralien um, aus denen unsere Häuser, Fabriken, Straßen, Maschinen gebaut werden. Der Kohlendioxidspiegel – ein entscheidender Klimafaktor – ist mittlerweile der höchste seit mindestens einer Million Jahre. Noch in diesem Jahrhundert wird er womöglich einen Stand erreichen, der eher zu Zeiten herrschte, als die Dinosaurier über das Treibhaus Erde wandelten. Durch das Begießen des Bodens mit künstlichen Düngemitteln ist der Stickstoffkreislauf der Erde noch schlimmer betroffen: Die letzte vergleichbare Störung dieser Art muss Milliarden von Jahren zurückliegen.

Und dann wäre da noch der menschliche Einfluss auf das Leben auf dem Planeten. Unsere Veränderungen der Biosphäre machen die tiefgreifendsten Veränderungen des Anthropozäns aus und werden die langfristigste Hinterlassenschaft sein, wahrscheinlich auch eine permanente – noch dazu von kosmischer Bedeutung, denn wir ändern die Grenzbedingungen des einzigen Planeten im Universum, von dem wir wissen, dass er Leben ermöglicht.

Die Beherrschung der Erde durch den Menschen erinnert mittlerweile eher an Science Fiction als an das wahre Leben. Nimmt man die Biomasse aller Landwirbeltiere, macht der Mensch heute ein Drittel dieser Masse aus. Der größte Teil der übrigen zwei Drittel sind jene Tiere, die wir als Nahrungsmittel halten: Kühe, Schweine, Schafe, Ziegen. Der Bestand der echten Wildtiere ist auf unter 5 Prozent geschrumpft. Wir haben es mit einer biologischen Übernahme zu tun, die in der Erdgeschichte ihresgleichen sucht.

Die Katze: sie ist unabhängig und kann, ohne uns, für sich sorgen

Felis catus, die Hauskatze, nimmt einen Platz zwischen Domestizierung und Wildnis ein. Auch während der Übernahme der Erde brauchen wir die Nähe zur Natur. Also halten wir uns privilegierte Tiere, die wir Haustiere nennen – Hunde, Katzen, Wellensittiche. Die Katze ist das faszinierendste von allen und im Grunde immer noch eine Wildkatze. Sie ist unabhängig und kann, ohne uns, für sich sorgen. Wir haben sie weniger domestiziert, als sie es gelernt hat, uns um sie sorgen zu lassen – und sie zudem aufs Höchste zu bewundern. Leonardo da Vinci hielt selbst die kleinste Katze für ein Meisterwerk. Für Albert Schweizer kam ihr nur die Musik als Zuflucht vor dem Kummer des Lebens gleich.

Prächtig vermehrt

So wurde sie von Menschen auf der ganzen Welt gehalten und konnte sich prächtig vermehren, während das übrige Leben vielfach dahinschwand. Es gibt zurzeit mehr als 250 Millionen Hauskatzen auf der Welt. Das macht mehr als eintausend für jeden Leoparden und mehr als hunderttausend für jeden Tiger auf der Erde. Während sich das nächste große Massenvernichtungsereignis der Welt anbahnt, werden sie (und ein paar andere, vom Menschen weniger geliebte Tiere, wie die Wanderratte) weiterhin zahlreich vertreten sein.

Wenn der Mensch irgendwann von der Erde verschwindet, wird die Hauskatze sehr wahrscheinlich noch da sein und ganz einfach wieder zur Wildkatze werden. Ihre Nachkommen werden sich weiterentwickeln und verändern und irgendwann in der fernen Zukunft wieder den ökologischen Raum einnehmen, den die verschwundenen Löwen und Tiger und Geparden hinterlassen haben. Somit kann die bescheidene Hauskatze die Gegenwart und die Zukunft des Anthropozäns auf den Punkt bringen. Hätte Leonardo da Vinci das gewusst, wäre seine Bewunderung für sie noch größer gewesen.

Aus dem Englischen von Gaby Gehlen