„Kies, du darfst nicht gehen“

Niederrhein-Derby Beim 5:0-Sieg von Bayer Leverkusen über Borussia Mönchengladbach macht vor allem einer von sich reden: Stefan Kießling, lange auf die Bank verbannter Stürmer, war an allen Toren beteiligt

Mit Händen und Füßen: Leverkusens Stefan Kießling zeigt, was er kann Foto: Meissner/ap

Aus Leverkusen Andreas Morbach

Mit der feurigen Atmosphäre in der BayArena ist das immer so eine Sache. Selbst beim dramatisch perfekt inszenierten ­Duell mit Barcelonas B-Auswahl am letzten Mittwoch, als die Leverkusener sich mit ihren wilden, oft kopflosen Angriffsversuchen eigenfüßig aus der Champions League schossen, herrschte meist eine Stimmung wie in der Wartehalle einer Behörde. Nach dem 5:0 über Nachbar Mönchengladbach aber holten die Bayer-Fans nun alles nach, machten beim Feiern sogar Überstunden. Wegen Stefan Kießling.

Der ewige Leverkusener wurde geherzt, bejubelt – und schritt bei der wohlverdienten Abklatschparade mit seinen Anhängern am Gitter hinter der Nordkurve entlang. Als die Fans später hörten, dass Kießling noch Interviews gab, machten etwa 100 von ihnen auf der Stelle kehrt, kamen zurück ins Stadion, wo sie trotzig skandierten: „Es gibt nur ein’ Stefan Kießling“. Und: „Kies, du darfst nicht gehen.“

Mit sanft geballter Faust und etwas wehmütigem Blick hatte der blonde Lokalheld die zahlreichen Glückwünsche der Anhänger zuvor entgegengenommen – und dabei kein Geheimnis daraus gemacht, dass dies womöglich seine letzte Jubeltour am Fuße der A1 gewesen war. Denn der lange Oberfranke mit den schwer zu kontrollierenden Extremitäten war zuletzt sehr unzufrieden mit seiner sportlichen Situation.

Das hat sich bei seiner Rückkehr in die Startelf – nach einer Lücke von sieben Wochen – mit zwei eigenen Treffern und zwei Assists für den dreifachen Torschützen Javier Hernandez zwar geändert, aber so ganz auch wieder nicht. Trainer Roger Schmidt dachte zwar anschließend laut darüber nach; Kießling künftig wieder verstärkt zu berücksichtigen. „Ich würde sagen: Was funktioniert, sollte man öfter auf den Platz bringen“, sagte Schmidt. „Stefan gibt uns eine neue Option auf dem Platz.“

Das klingt gut, aber so richtig traut der genau hinhörende Kießling dem Braten nicht. „Natürlich war ich darüber genervt“, sagte Kießling zum Reservistendasein der vergangenen Wochen. Dass er wie Exkollege Gonzalo Castro, den es im Sommer nach Dortmund zog, demnächst auch woanders hinzieht, schloss Kießling dabei ausdrücklich nicht aus.

„Ich habe mir Gedanken gemacht, werde mir weiterhin Gedanken machen. Die Lage ist so, dass ich natürlich spielen will“, erklärte er. Dann deutete er mit Verweis auf die beinahe zehn Jahre, die er Leverkusen inzwischen die Treue hält, einen sich anbahnenden enormen Trennungsschmerz an. „Dass ich diesen Verein liebe, weiß jeder“, sagte der zweifache Familienvater.

Auf der Tribüne verfolgte Ehefrau Norina den Galaauftritt ihres Gatten mit Tränen in den Augen, während Manager Jonas Boldt und Coach Schmidt von dem Respekt sprachen, dem sie dem langjährigen Mitarbeiter Stefan Kießling und dessen beruflichen Wünschen entgegenbringen werden.

Rudi Völler war da schon einen Schritt weiter. Bayers Sportdirektor verwies auf den bis 2017 laufenden Vertrag des Angreifers, den dringenden Bedarf, den Bayer an seinen speziellen Fähigkeiten habe – und mutmaßte: „Es kann ja gut sein, dass er in der Rückrunde öfter spielen wird.“ Ein Abmarsch von Kießling in der Winterpause ins Ausland scheint ausgeschlossen.

„So wie er gegen Gladbach gespielt hat, können wir nicht auf ihn verzichten. Das ist klar“, betonte derweil Schmidt vor den anstehenden Motivationsgesprächen mit Bayers Nummer 11.

„Es ist eine schwierige Situation für mich“, sagt Kießling dazu. „Am Ende der Karriere muss ich auch auf mich schauen. Ich habe nicht mehr so viele Jahre – und ich will noch ein bisschen Spaß haben.“