Der Ist-Zustand

Baden-Baden Beim Fernsehfilmfestivaldominieren alte Bekannte und Zukunftsängste

Der Hauptpreis für „Meine Tochter Anne Frank“ Foto: F.: Janett Kartelmeyer/ave/HR

Der wichtigste Satz fiel ganz plötzlich: „Es gibt in ein paar Jahren vielleicht immer noch den Fernsehfilm, aber er wird anders heißen“, sagte die Filmstudentin und stellte damit die larmoyante Diskussion über Zustand und Zukunft der aktuell noch wichtigsten TV-Spielform vom Kopf auf die Füße. Vorher hatte eine Runde hochdeko­rierter FernsehveteranInnen über abnehmende Drehtage, feige Redakteure und die Schlechtigkeit des Seins beziehungsweise des Systems an sich debattiert. Die Runde saß in Baden-Baden zusammen, wo die Branche beim jährlichen Fernsehfilmfestival in diesen selbst ernannten schlechten Zeiten auf das Muster Rückversicherung zurückfiel. Das tut keinem weh – obwohl doch alle leiden. Ideen, wohin es gehen kann, fanden sich nur wenige. Das Festival spiegelte bei seinem 27. Durchgang den Zustand der Branche, nicht weniger, nicht mehr.

Und so fielen auch die Preise der Jurys höchst bewährt aus. Einzige Ausnahme: Der Hauptpreis der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste, die das Festival bestreitet, ging an „Meine Tochter Anne Frank“, Raymond Lays Mischung aus Dokudrama, Zeitzeugeninterview und Filmessay mit einer berückenden Mala Emde als Anne Frank. Das ist stimmig, das Ziel des Films, in der Überwindung der „Ikone“ Anne Frank diese junge Frau für jüngere Generationen wieder erfahrbar zu machen, erreicht.

Wenig überraschend dagegen war der Sonderpreis für Christiane Paul in „Unterm Radar“. In dem reichlich konstruiert wirkenden Thriller spielt sie die Mutter Richterin, deren Tochter zur Terroristin wird, „ohne in einen seichten Powerfrau-Gestus zu verfallen“, wie die von Filmkritiker Torsten Körner angeführte Jury aus dem Schauspieler Ulrich Matthes, der Schriftstellerin Thea Dorn, der Regisseurin Isabell Kleefeld, und Moderatorin Bettina Böttinger attestierte. Der zweite Sonderpreis ging – ebenfalls erwartbar – an Matthias Brandt und Barbara Auer. Sie erhalten ihn für ihr „Augenblickscharisma“ als nicht funktionierendes Ermittlerliebespaar im Arthouse-„Polizeiruf 110“ „Kreise“.

Brandt war ohnehin der große Abräumer in Baden-Baden: Er bekam den Hans-Abich-Preis, eine Art Lebenswerk-Auszeichnung mit dem Appell, trotzdem bitte weiterzumachen. Und er war auch in dem Film zu sehen, der die parallel zur akademischen Jury tagende Truppe der Filmstudierenden überzeugte: Matti Geschonnecks „Ein großer Aufbruch“. Wirklich modern oder visionär ist der Film nicht.

Der Fernsehfilm, so viel machte Baden-Baden klar, ist auf der Suche nach sich selbst, fühlt sich auf hohem Niveau unsicher und hofft auf ein besseres Morgen – wissend, dass es so kaum kommen wird. Interessant, dass der 3Sat-Publikumspreis an den eindimensionalen, aber sehr engagierten Sat.1-Film „Die Ungehorsame“ ging. Man hätte dem Film mehr Qualität in der Umsetzung gewünscht, aber er zeigt, dass der Fernsehfilm dann eine große Zukunft hat, wenn er die Gesellschaft erreicht – und das hat er: Nach der Ausstrahlung der hart inszenierten Geschichte einer von ihrem Ehemann misshandelten Frau musste der Frauennotruf Personal aufstocken. Dirk Döll