Suizid nicht verharmlosen

Experten warnen vor Akzeptanz der Selbsttötung im Alter und fordern mehr Beratungsangebote. Kritik auch an Schweizer Sterbehilfe-Verein Dignitas

BERLIN taz ■ Die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) will gegen eine stillschweigende Akzeptanz der Selbsttötung im Alter ankämpfen. „Bei älteren Menschen wird oft Verständnis für die Tat geäußert“, sagte DGS-Vorstandsmitglied Georg Fiedler vor der heute beginnenden Herbsttagung der Gesellschaft in Hamburg. Hinter dieser Haltung verstecke sich eine völlig falsche Vorstellung des Alters. Junge Menschen projizierten ihre Ängste vor dem Altern auf die Alten selbst. Statt wie in der gegenwärtigen Sterbehilfe-Debatte über sanftere Methoden der Selbsttötung zu diskutieren, möchte Fiedler hier ansetzen. „Es gibt kaum Angebote für ältere Suizidgefährdete. Das muss sich dringend ändern.“

Auf dieses Phänomen führt Fiedler auch die neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamts zurück, wonach die Zahl der Suizide nach zwei Jahrzehnten des stetigen Rückgangs jetzt nicht mehr nennenswert sinkt. Fiedler vermutet, dass hierfür die demografische Entwicklung verantwortlich ist. Nach der Statistik nehmen sich ältere Menschen sehr viel häufiger das Leben als jüngere. So war knapp die Hälfte der Menschen, die sich 2003 selbst umbrachten, mehr als 60 Jahre alt. Die höchste Suizidrate weist die Gruppe der über 80-Jährigen auf. Der höhere Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung überlagere in der Statistik, so Fiedlers Vermutung, den deutlichen Rückgang der Selbsttötungsrate bei den Jüngeren.

Scharfe Kritik übte Fiedler an den Aktivitäten des Schweizer Sterbehilfevereins Dignitas, der Ende September eine Filiale in Hannover eröffnet hatte. Seitdem preise Dignitas-Gründer Ludwig A. Minelli auch in Deutschland Selbsttötung als eine großartige Möglichkeit an. „Damit gefährdet Dignitas die Suizidprävention.“

Die Diskussion um Sterbehilfe läuft nach Ansicht der DGS derzeit in eine völlig falsche Richtung. Statt die Selbsttötung zu erleichtern, müsse gefährdeten Menschen besser geholfen werden. Zu Recht weise der Sterbehilfeverein zwar auf Mängel bei der Behandlung und Betreuung todkranker Menschen hin. „Aber als Ausgleich für diese Mängel den Tod anzubieten, halten wir für zynisch“, sagte Fiedler. Stattdessen müsste die Palliativmedizin stärker gefördert werden. Außerdem fordert die DGS eine bessere Aufklärung über die Möglichkeiten, Todkranke in Hospizen beim Sterben zu begleiten.

Vor allem bei Menschen mit psychischen Problemen sehe Dignitas überhaupt nicht die Ambivalenz von Suizidgedanken, sagt Fiedler. Er berät als Psychologe am Universitätsklinikum Hamburg täglich Menschen, die ihrem Leben ein Ende setzen wollen. „Die meisten Menschen wollen nicht sterben, sondern wissen nicht, wie sie mit ihren Problemen weiterleben sollen“, schildert er seine Erfahrungen. Mit Beratungen und Hilfestellungen könnte man in solchen Fällen viel bewegen.

Saarland und Niedersachsen hatten am Dienstag eine Bundesratsinitiative angekündigt, um die professionelle Vermittlung von Sterbehilfe unter Strafe zu stellen. Von einem Gesetz, das die Arbeit von Vereinen wie Dignitas verbietet, hält Suizidforscher Fiedler allerdings nichts. Ein Verbot verlagere das Angebot nur in den Untergrund. „Statt Dignitas zu verbieten, wäre viel mehr gewonnen, wenn wir eine gesellschaftliche Ächtung erreichen könnten.“ Nach Angaben von Dignitas haben 453 Personen die Dienste der Schweizer Organisation seit 1996 in Anspruch genommen, davon 253 aus Deutschland. JAN PFAFF