Besuch beim armen Verwandten

Auch wenn die Propaganda die Beziehungen zwischen China und Nordkorea lobpreist, ist das Verhältnis alles andere als rosig

AUS PEKING GEORG BLUME

Von wegen Staatsbesuch. Das klänge nicht wichtig genug. Nicht als Staatspräsident, sondern in seinem entscheidenden Amt als Parteichef reist Hu Jintao heute zum so genannten Freundschaftsbesuch ins Reich des „Lieben Führers“ Kim Jong Il. Man hätte gedacht, die Zeiten der Kameraderie unter kommunistischen Parteiführern seien vorüber. Man glaubte, die chinesische Diplomatie habe sich professionalisiert. Hu erweckt einen anderen Eindruck.

Schon vor einer Woche schickte der chinesische Staats- und Parteichef zum 60. Gründungstag der Volksrepublik Korea ein Glückwunschtelegramm an seinen heutigen Gastgeber: Darin pries er Kims Führungsrolle, nannte die chinesisch-nordkoreanischen Beziehungen einen „wertvollen Schatz“. So herzlich gratuliert Hu sonst keinem ausländischen Staatschef, außer Fidel Castro. Bedeutet dies also, dass China – nach Jahren einer auf Ausgleich mit den USA und der Europäischen Union bemühten Außenpolitik – wieder ins Nestkörbchen kommunistischer Brüderschaften zurückfindet?

„Sicher nicht. Die Beziehungen zwischen China und Nordkorea sind alles andere als gut“, antwortet der in Peking lebende britische Nordkoreaexperte Jasper Becker. Er erinnert an den ersten Nordkoreabesuch Deng Xiaopings als unangefochtener Parteiführer im Jahr 1978. Damals zeigte der noch junge Kim Jong Il dem chinesischen Gast ein neues, goldenes Denkmal seines regierenden Vaters Kim Il Sung. Wie könne man Chinas Entwicklungshilfe an Nordkorea derart verschwenden, soll Deng empört reagiert und anschließend die Hilfe für Pjöngjang gekürzt haben. Seither hätten sich die Beziehungen beider Länder nie richtig erholt. Nordkorea sei für China der „peinliche arme Verwandte“ und sorge für ständiges Kopfzerbrechen.

Erst recht seit Dezember 2002. Damals trat Nordkorea aus dem Atomwaffensperrvertrag aus, um benutzte Uranbrennstäbe unbehelligt zu waffenfähigem Plutonium aufarbeiten zu können. Amerika war empört. Noch vor Beginn des Irakkrieges sprach US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld von der Möglichkeit eines Zwei-Fronten-Krieges gegen Irak und Nordkorea. In Peking läuteten die Alarmglocken. Hier nahm man die Drohungen aus Washington ernst – und sah im kleinen nordkoreanischen Bruder erneut den unberechenbaren Nachbarn. Die Folge: Peking ersann die Sechsergespräche zur Beilegung der Atomkrise, die bis heute andauern. An ihnen nehmen China, die USA, Nord- und Südkorea, Japan und Russland teil. Doch in diesem Frühjahr wollte Kim Jong Il aussteigen und erklärte Nordkorea zur Atommacht. Hu sagte seinen damals schon geplanten Nordkoreabesuch ab. Fast im Wochentakt reisten chinesische Diplomaten nach Pjöngjang, um die Regierung dort wieder an den Verhandlungstisch zu bringen. Das gelang. Im September unterzeichnete die Sechsergruppe ein Rahmenabkommen, in dem sich Nordkorea bereit erklärt, alle Atomprogramme aufzugeben und zum Sperrvertrag zurückzukehren. Im Gegenzug wollen die anderen Länder Nordkorea Hilfe leisten. Doch die Details sind noch lange nicht ausgehandelt. Dafür braucht China heute Nordkorea.

Hu wird also wider alle Propaganda nur ungern Kim die Hand reichen. Würde er jetzt nicht reisen, wäre es ein Bruch der Beziehungen, dann würde er zuerst Südkorea besuchen, wo er als Gast des Apec-Gipfels am 18. November erwartet wird. Also macht er gute Miene zum bösen Spiel. Bei Hus Amtsantritt vor zwei Jahren gab es noch Gerüchte, er plane mit desertierten nordkoreanischen Generälen einen Umsturz in Nordkorea. Zumindest diese sind heute verstummt.