Eine Enkelin, die ganz anders sein will

In der SPD geht man locker als junger Spund durch, wenn man noch nicht 40 ist. Das liegt vielleicht daran, dass die Partei schon über 140 Jahre auf dem Buckel hat. In der „jungen Generation“ gibt es trotzdem nur vier, fünf Genossen, deren Namen der durchschnittlich Politikinteressierte fehlerfrei buchstabieren kann. Zu ihnen gehört die 35-jährige Andrea Nahles, der Einfachheit halber als „Parteilinke“ etikettiert.

Zu den sozialdemokratischen Grunderkenntnissen der Nahles & Co. gehört es, nie solche „Enkel“ werden zu wollen, wie es die Schröders, Lafontaines und Scharpings waren: in unzähligen Machtkämpfen gestählt, aber durch gegenseitige Zerfleischung im Egozentrismus erstickt. „Wir sind keine besseren Menschen“, sagt Andrea Nahles, „aber vielleicht klügere Sozialdemokraten.“ In ihrer Generation gebe es viel zu wenige qualifizierte Genossen, als dass sie sich auch noch bekämpfen könnten. Der Nachteil dieser noblen Haltung: Den Jungen in der SPD fehlt die Erfahrung von Sieg oder Niederlage im politischen Kampf. Erst daraus erwachsen ja Führungsstärke und Härte, ohne die man eine Partei wohl oder übel nicht lenken kann.

Zumindest Andrea Nahles dürfte diese Erfahrung nicht länger erspart bleiben: Sie möchte neue Generalsekretärin der SPD werden, und dafür ist sie bereit, einen Machtkampf mit ihrem Parteichef Franz Müntefering (65) zu riskieren. Müntefering will seinen Vertrauten Kajo Wasserhövel, den organisationserprobten Bundesgeschäftsführer, auf diesen Posten hieven. Dagegen gibt es in der SPD ungewohnt starken Widerstand. Nahles hat Müntefering in dem einzigen Interview, das sie in dieser Angelegenheit bislang gab, wissen lassen, sie „erwäge“ trotz dessen Festlegung eine Kandidatur für den Job. Ein anschließendes Unter-vier-Augen-Gespräch der beiden ergab keine Einigung. Jetzt ist Nahles offenbar entschlossen, sich gegen den Willen Münteferings vom Parteivorstand als Generalsekretärin nominieren zu lassen. So könnte es am Montag zu einem in der jüngeren SPD-Geschichte einmaligen Vorgang kommen: einer Kampfabstimmung um einen Führungsposten. Nahles oder Wasserhövel? Die endgültige Entscheidung darüber hat der SPD-Parteitag Mitte November in Karlsruhe zu treffen.

Mit Nahles, der früheren Juso-Vorsitzenden, zöge eine politische Generalsekretärin ins Willy-Brandt-Haus ein. Eine Frau mit linken Positionen zwar, die jedoch immer auch Realpolitikerin war: Sie hat Gerhard Schröder oft widersprochen, aber wenn es darauf ankam, ihrem Kanzler und dessen Agenda-2010-Politik zur Mehrheit in der SPD verholfen. Jetzt drängt es Nahles in die Mitte der Partei. JENS KÖNIG