Berliner Szenen: Hüftschwung
Differenzfeminismus
Um neun Uhr morgens sollte man etwas Besseres zu tun haben, als sein „Powercenter zu aktivieren“. Aber weil es der Hausarzt so will, winde ich mich heute wieder im Fitnessstudio auf meiner Yogamatte.
Es ist todeslangweilig. Und darum freue ich mich an Kursteilnehmerinnen, die aus den Training eine Debatte machen wollen. Heute zum Beispiel sollen wir auf Wunsch der Trainerin mit rollender Hüfte herumstolzieren. Das sieht aus, als wollten wir alle Statisten bei einer Neuaufnahme des „Ministry of Silly Walks“-Sketches von Monty Python werden.
Als die Trainerin uns auffordert, nun mal „richtig sexy zu gehen“, hat eine der Turnerinnen etwas beizutragen. So zu laufen, ginge gegen die europäische Kultur: „Wenn man so auf der Straße geht, gilt man gleich als Schlampe.“ Die Trainerin beruhigt: „Wir machen das ja nur hier.“
Aber die Turnerin lässt nicht locker: Die weibliche Hüfte sei ja eigentlich dazu gemacht, so zu schwingen. Aber das würde das Patriarchat nicht zulassen, weil es heute nur noch um Effizienz ginge.
Das wäre jetzt doch mal eine coole Turnstunde, in der man über Differenzfeminismus und den Ansatz der französischen Theoretikerinnen Hélène Cixous oder Luce Irigaray redet, während man sich streckt. Ich würde gerne in diese Grundsatzdiskussion einsteigen – möglicherweise, um mich nicht in weitere abwegige Positionen quälen zu müssen. Aber die Trainerin ist schlauer und überhört diese Einlassungen.
Und letztlich hat sie das Mikrofon, über das sie nun bekannt gibt, dass wir uns – statt weiblichen Hüftschwung vis-à-vis Phallogozentrismus zu erörtern – mit ausgestreckten Armen nach vorne beugen sollen. Dabei knackt es zwischen den Schulterblättern. Und das ist dann das Ende der Diskussion.
Tilman Baumgärtel
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