Vierter Prozess wegen Nazi-Vergleich

PROZESS Das Landgericht Bremen soll im mittlerweile vierten Prozess gegen den Anwalt Jan Sürig klären, ob ein vom ihm geäußerter NS-Vergleich im Jahre 2005 „Schmähkritik“ war oder sachlich begründet

„Meine Kinder haben auch die Reihenfolge Schule, Berufsauswahl und Familienplanung eingehalten“

DIETER NORDHAUSEN, EHEMALIGER AMTSRICHTER

Der Prozess wegen eines Nazi-Vergleichs durch den Bremer Strafverteidiger Jan Sürig geht in die vierte Runde: Vor dem Landgericht wurde gestern der ehemalige Amtsrichter Dieter Nordhausen als Zeuge vernommen. Ihm hatte Sürig im April 2005 vorgeworfen, die Auffassungen der Nürnberger Rassegesetze von 1934 zu teilen. Sürig war in erster Instanz vor dem Amtsgericht Bremen wegen Beleidigung verurteilt und in zweiter Instanz vor dem Landgericht freigesprochen worden. In dritter Instanz vor dem Oberlandesgericht wurde der Freispruch 2010 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen (die taz berichtete).

Aufgabe des Gerichts ist es nun zu klären, ob Sürigs Vorwurf eine „Schmähkritik“ war oder ob er sachlich und im Interesse seines damaligen Mandanten begründet war – nur dann wäre laut Oberlandesgericht der Freispruch gerechtfertigt gewesen.

Sürig hatte 2005 einen von Abschiebung bedrohten Afrikaner vertreten, nachdem der unrechtmäßig verhaftet worden war: Die Polizei nahm ihn mit, obwohl er in diesem Moment auf sein acht Monate altes Kind aufpassen musste. Seine deutsche Freundin, die Mutter des Kindes, befand sich auf der Arbeit. Im Zuge der gerichtlichen Anhörung äußerte Richter Nordhausen, der Afrikaner habe seinen „prekären Aufenthaltsstatus“ ja gekannt, „als er das Kind zeugte“. Deshalb hätte er sich vorher eine Aufenthaltsgenehmigung besorgen sollen, müsse jetzt also damit leben, trotz des Kindes abgeschoben zu werden – woraufhin Sürig entgegnete: „Sie vertreten Ansichten, die in diesem Staat zuletzt mit den Nürnberger Rassegesetzen vertreten worden sind.“

So habe er das gar nicht gemeint, sagte der 72-jährige Nordhausen gestern auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Reinhard Wacker: „Ich habe lediglich gesagt, dass es manchmal leichter ist, gewisse Reihenfolgen einzuhalten, sonst kann man schnell vor Schwierigkeiten stehen. Ich verstehe bis heute nicht, was daran provokativ sein soll. Meine Kinder haben auch die Reihenfolge Schule, Berufsauswahl und Familienplanung eingehalten – die hab ich doch auch nicht provoziert!“ Es habe sich um eine „unjuristische“ Aussage gehandelt, „begründet durch eine gewisse Lebenserfahrung“.

Sürig geht es freilich vor allem um das Thema Rassismus in der deutschen Justiz. Ein entsprechender Beweisantrag aus dem Jahr 2010 wurde vom Oberlandesgericht damals allerdings abgelehnt mit der Begründung, dieser sei im Revisionsverfahren unzulässig. Nun hat Sürig erneut beantragt, ein sozialwissenschaftliches Sachverständigengutachten als Beweis dafür zuzulassen, dass „ein geschlossenes rechtes Weltbild“ unter RichterInnen, auch in Bremen, ebenso häufig anzutreffen ist wie in der Gesamtbevölkerung.

Denn bis heute, so Sürig, werde unterstellt, dass RichterInnen dieses Weltbild nicht hätten. Nordhausen sei indes bereits früher mit Nazi-Vorwürfen konfrontiert worden.

Gegen die war der mittlerweile pensionierte Richter allerdings ebenfalls juristisch vorgegangen. So habe bei einer Gerichtsverhandlung wegen der Bremer Straßenbahndemonstrationen in den späten Sechzigerjahren jemand aus dem Publikum gesagt, er habe das Gefühl, von NS-Richter Roland Freisler angesehen zu werden: „Freisler war eine fürchterliche Person, ganz furchtbar, wie der verhandelt hat. Mit dem lass ich mich doch nicht vergleichen!“, so Nordhausen.

36 Jahre lang war Nordhausen Richter. In den zehn Jahren, in denen er als Ermittlungsrichter tätig war, gingen 200 bis 300 Abschiebehaftprozesse pro Jahr über seinen Schreibtisch. In dieser Zeit hat er nur ein einziges Mal eine Festnahme beanstandet und – nach eigener Aussage – „wenn überhaupt, dann nur sehr selten“ Haftanträge zurückgewiesen.  SCHN