Hampelmänner im HAU, Wurstgeruch auf dem Weihnachtsmarkt und rausgeputzte Haarlacktollen im Möbel Olfe
: Nichts ist schlimmer als echte Wirklichkeit

Ausgehen und Rumstehen

von Fatma

Aydemir

Ich bin zurück in Berlin. Zwar ist das schon seit ein paar Tagen so, aber klar wird mir das erst am Freitagabend vor dem Eingang des Theaters. Paare und Cliquen radeln an in Form einer homogenen Einheit, also was Dresscode (dunkler Mantel, roter Lippenstift) und Erwartungen an den Abend („alles, was im HAU läuft, ist toll“) betrifft. Vier Monate war ich im Ausland. Die Frage, ob ich Berlin vermisse, habe ich mir dabei oft gestellt. Eine Antwort habe ich nicht gefunden. Ich vermisste meine Freunde, ich vermisste meine Wohnung, aber die Stadt? Schwer zu sagen.

Vier mittelalte Männer (vielleicht waren es fünf) hampeln in weißen Klamotten auf der Bühne des HAU3 herum und erzählen seltsame Geschichten von Elfenbein, LSD und dem „Islamischen Staat“. Es laufen schlechte Elektrobeats. Das Publikum lacht über jeden Klamauk – haha, diese doofen Islamisten, haha. Meine Begleitung S. rollt mit den Augen und flüstert: „Fuck, I really have to pee!“

Sinnsuche, allerorts

„Gefühle, nothing but“ heißt die von zwei Stadtkulturfonds (Berlin und Hamburg) geförderte Performance, und es geht um den an sich sinnlosen Drang, allem um uns herum immer einen Sinn abzugewinnen, wo wir doch eigentlich nur eine gute Zeit haben wollen. Jedenfalls habe ich das so verstanden, und die Idee klingt ja erst mal gar nicht so schräg. Das Problem ist nur, dass ich wohl zu ebenjener konservativen Sorte Mensch zähle, die diese Sinnsuche einfach nicht abschalten kann. Auch nicht im Theater. Und so sitze ich da, ein bisschen verzweifelt, ein bisschen aggressiv, und frage mich, was das da vorne mit den Schaumpolstern schon wieder soll und was ich hier eigentlich suche.

Ein sehr ähnliches Gefühl überfällt mich übrigens auch immer auf dem Weihnachtsmarkt. Nicht, dass ich jemals bewusst einen aufsuchen würde, ich muss nur seit Freitag täglich jenen am Richardplatz passieren, um zur U7 zu gelangen. Und es ist die Pest. Es riecht nach Wurstzeug, alle sind besoffen und es ist die Hölle los – the place to be für all jene, denen die Wiesn zu weit weg ist. Aber warum stört mich das überhaupt? Die Leute wollen halt eine gute Zeit haben. Habe ich zu viele Woody-Allen-Filme gesehen, die anlässlich dessen 80. Geburtstags gerade die Onlinemediatheken überschwemmen? Mag sein. Mir fällt ein Satz aus „Die letzte Nacht des Boris Gruschenko“ ein, mit dem Allen den Sinn des Lebens zusammenfasst: „So wie ich das sehe, ist die Natur nur ein gigantisches Restaurant: Große Fische essen kleine Fische.“ Oder eben: Große Würste essen kleine Würste.

Das Theater ist mir also zu betulich, der Weihnachtsmarkt zu real. Deshalb suche ich die Grauzone auf, das Möbel Olfe, und sofort fliegt mir eine flauschige Wolke der Warmherzigkeit zu. Die Jungs überhäufen mich mit Küssen, kaufen mir eine 2-Euro-Rose vom Inder und geben einen Shot nach dem anderen aus. „Du hast abgenommen“, lügt H. „Deine Haut strahlt so schön“, fügt O. hinzu. Ich fühle mich wie die Königin vom Kottbusser Tor, dabei bin ich nicht mehr als eine Requisite im eigentlichen Game – die Quotenfrau, Hete, außer Konkurrenz. Samstags ist nämlich Primetime im Möbel Olfe, die Jungs haben sich rausgeputzt. Fishnet-Shirt, Haarlacktolle, selbst die Ellenbogen sind geölt.

Jedes Mal, wenn eine Unterhaltung den anspruchsvollen Turn erreicht, dreht sich mein Gesprächspartner um und flirtet mit seinem Sitznachbarn. Ich zucke mit den Schultern und quatsche einfach den nächsten voll. Wenn die artifizielle Pose eine aufrichtige ist, dann fühle ich mich zu Hause. Nichts ist schlimmer als echte Wirklichkeit oder gekünstelte Kunst.

„Na und? Dies ist definitiv die beste aller möglichen Welten“, sagt übrigens die wunderschöne Diane Keaton in jenem Film zu Allen. Berlin, ein bisschen habe ich dich vermisst.