Ein Star, um jeden Preis

Hildegard Knef würde im Dezember achtzig Jahre alt – doch ein Buch zu diesem Anlass, das sich ihr extragründlich widmet, darf nicht erscheinen, weil es den beleidigten Nachlassverwaltern nicht gefällt

von JAN FEDDERSEN

Als sie vor dreieinhalb Jahren, kränkelnd seit langem, an den Folgen eines Lungenemphysems in einer Klinik am Berliner Wannsee starb, sagte der Reporter eines Boulevardblatts am Rande ihrer Beerdigung, nur Stunden nach den öffentlichen Trauerfeierlichkeiten in der Gedächtniskirche am Ku’damm: „Nun ist die Zeit vorbei, da über sie nicht schlecht geschrieben werden durfte.“ Er sollte sich irren.

Hildegard Knef war, als sie keine Kraft zum Leben mehr hatte, als keine Pillen mehr nutzten, keine Zigaretten, kein Alkohol und kein Cortison, in Berlin allenthalben ein Heiligtum. Die letzte Anteilnahme galt der Person, die es einst zu Weltruhm brachte, der in Hollywood eine Karriere gelang, am Broadway und in Deutschland – und einer Frau, die in den Sechzigern eine Art Rollenmodell der modernen Feminität formulierte. Stark, selbstbewusst, gleichberechtigt, weiblich durch und durch, ausgerüstet mit einem dunklen Timbre und einem Körper, der sich nicht schamhaft versteckte.

Gab sie Interviews, ließ sie an diesem Image keinen Zweifel. Sie sagte „Dschääß“, wenn sie Jazz meinte, und sprach von „Ella“, kam sie auf die Fitzgerald zu sprechen. „Marlene“ war die Dietrich, und keine Deutsche konnte so glaubwürdig „Los Angeles“ aussprechen – als sei sie eben aus dieser Stadt mit der Abendmaschine eingeflogen. Sie konnte „Äl-Äih“ sagen, ohne peinlich zu wirken. Sie war die große Welt für die Deutschen, und sie wollte sie gern darstellen und ja auch sein.

Im Dezember würde die Knef achtzig Jahre alt werden – kaum auszumalen, welche Ehrungen ihr zuteil würden, lebte sie noch. Goldene Kamera, Bundesverdienstkreuz, Bambi … sie hatte sie ja alle schon. Hätte man womöglich für sie neue Preise erfinden müssen, einen Ring oder eine Stiftung? So wie sie selbst? Wie den Mark-Twain-Preis oder die Goldene Tulpe aus den Niederlanden, wie sie auf Websites aufgelistet stehen – und deren Meriten sich die Knef gerne anheftete? Die Pointe ist: Diese Ehrungen hat es nie gegeben – sie sind von der Künstlerin erfunden worden, oder sie hat sie von ihren Freunden angedichtet bekommen. Wer etwa mag der Knef die „Goldene Tulpe“ gebastelt haben, die das Filmmuseum am Potsdamer Platz aufbewahrt?

Der all dies herausgefunden hat, ist der Buchautor Jürgen Trimborn, Jahrgang 1971, der schon Biografien zu Leni Riefenstahl und Johannes Heesters verfasst hat. Was ihn auszeichnet, ist ein fast ermüdend präzises Interesse an den winzigsten und wichtigsten Fakten, am Gossip und an Trivialitäten – und obendrein ein feines Misstrauen gegen Behauptungen, vor allem solchen, die die von ihm Porträtierten selbst in die Welt setzten. Trimborn hat für die Deutsche Verlags-Anstalt ein neues Buch geschrieben, es heißt „Hildegard Knef. Das Glück kennt nur Minuten“. Es bietet, so viel muss hier gesagt werden, eine exzellente Lektüre – doch das Lesevergnügen speist sich aus einem Exemplar, das der Verlag verschickt hat, ehe die Hinterbliebenen der Knef auf den Plan traten. Und die sorgten dafür, dass das Buch nicht vertrieben werden darf.

In erster Linie der letzte Ehemann der Knef, Paul von Schell, der, das darf man ohne Risiko sagen, für ihre Karriere gar nichts gemacht hat – denn sie lernten sich Mitte der Siebziger kennen, und da war die ästhetisch anspruchsvolle Laufbahn der Knef, wie es heute scheint, längst über ihren Zenit hinaus. Ihre Sangestourneen sollten in Rio de Janeiro Station machen und kamen doch schon in Wolfsburg nicht über ein Auditorium von fünfzig Interessierten hinaus. Ihre Live-Mitschnitte sind erbarmungswürdige Dokumente einer Interpretin, der man, je nach Wohlwollen, entweder krude eingepegelten Alkoholkonsum anhörte oder die Strafe für lebenslangen Medikamentenmissbrauch, für den Konsum von schmerzlindernden, aber das Gewebe aufschwemmenden Cortisonpräparaten.

Die Knef nach 1976: eine Frau, die auf die Nerven ging. Und in diese Phase hinein fielen die Erfindungen der Preise. Den Mark-Twain-Preis immerhin, so Autor Trimborn, gibt es, aber er wird nur für Kinderliteratur verliehen. Und von der Goldenen Tulpe, die sie aus den Niederlanden erhalten haben will, hat dort noch niemand etwas gehört: die Knef – eine Berühmtheit, die sich selbst steuern wollte und die ihrer Fama auf die Sprünge half, helfen musste, wenn es Not tat.

Und es war ja auch nötig. Trimborns Verdienst ist, seine Quellen genau studiert zu haben und dass er bei aller Liebe zu den Liedern der Knef eben kein Kämpfer um die Reinheit des Andenkens sein will wie die Erben- und sonstige Anbetergemeinschaft. Wer war nach seinem Bild diese Frau, die am 28. Dezember 1925 als Hildegard Frieda Albertine K. in Ulm zur Welt kam als Tochter des Tabakkaufmanns Hans Theodor K. und seiner Frau Frieda? Ein Kind, das nicht geliebt wurde. Der Vater starb, da war sie ein halbes Jahr alt. Die anderen Männer, Stiefvater, Bruder, alle ihre heterosexuellen Gegenüber als Erwachsene: Sie hat um sie gebuhlt, sie hat für sie geschuftet, ihnen war ihr Ehrgeiz gewidmet, ihnen wollte sie es recht machen. Und dafür Dank erhalten, Anerkennung. Doch die blieb aus.

Bis auf David Cameron – der Mann, den sie 1959 kennen lernte, der der Vater ihrer Tochter Christina wurde und von dem sie sich 1976 scheiden ließ – war ihr kein Partner genehm. Männer waren ihr lieb, wenn es ihr nützte. Hildegarde Neff, wie man sie am Broadway nannte, wollte, wenn ihr schon in der Familie keine Liebe zuteil wurde, berühmt werden. Eisern, hart, konsequent, ohne Rücksicht auf Verluste: Wer ihr nicht diente, musste gehen, wer sie kritisierte, übte Hochverrat.

Auf der Bühne war sie die Starke, und vielleicht war sie in der Rolle der Knef am allerbesten. Der Rest, all die guten schlechten Filme („Schnee am Kilimandscharo“), die wunderbaren Lieder („Aber schön war es doch“), das Buch „Der geschenkte Gaul“, in etliche Sprachen übersetzt, ein Millionenseller: Vehikel des Ruhms, der Anerkennung und der Genugtuung, es der Mutter, es all den Männern gezeigt zu haben. Trimborns Buch unterscheidet sich von den anderen heiligenden Knef-Büchern in einer entscheidenden Hinsicht: Der Autor nimmt nichts moralisch. Dass sie, beispielsweise, beim Casting nicht zimperlich war, nicht in Deutschland, nicht in Hollywood. Oder dass sie, kaum war die Nazizeit vorbei, ihren Gefährten während der letzten braunen Jahre hinter sich ließ und sich einem amerikanischen Besatzungssoldaten widmete. Na, und dann ließ sie sich eben flach legen auf der Besetzungscouch, um an die raren Rollen zu kommen: na und?

Dass sie außerdem größenwahnsinnig war, mit dem Geld, den Millionen um sich warf, dass sie ihre Umwelt jenseits der Kameras und Objektive wie einen Hofstaat behandelte: Das darf gelesen werden auch als Geschichte einer Frau, die nicht so tut, als sei die Karriere astrein nach den Kriterien des reines Gewissens nur möglich. Nein, die Knef, das lernen wir, war eine Frau, die die Nachkriegszeit als die ihre nahm: Sie hatte ja keine andere Zeit. Die die Freundschaft der Marlene Dietrich suchte, weil die Dietrich eben auch Internationalität verströmte – und die deren Neigung zur flüchtigen Affäre nachahmte. Die Knef war noch Anfang der Sechziger eine Schauspielerin, die keine Engagements mehr bekam und anfing, Liedtexte zu schreiben. Die gefragt wurde, sie vertonen zu lassen – und doch schlotternde Angst hatte, mit ihnen auf der Bühne zu stehen. Die schon damals alles in sich reinstopfte an chemischen kleinen Helfern, was Ärzte und Apotheken so hergaben. Methadon auch, Alkohol, Zigaretten auf Kette, Tabletten, Aufputschmittel, denn müde werden, das durfte sie nicht. Eine Frau, die ihren Höhepunkt noch vor sich spürte und erst auf Konzertreisen ging, als sie die Israelin Esther Ofarim auf der Bühne sah. Die überlebensgroßen Wimpern, das nur am Rande, diese akkurat aufgeklebten Markisen über ihren leicht schielenden Augen, die hat sie sich von der Ofarim abgeguckt und zum eigenen Markenzeichen gemacht.

„Von nun an ging’s bergab“, „Eins und eins, das macht zwei“ oder „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ sind Chansons, die es in Deutschland so noch nicht gab: Die Knef, das war auch der Ton der Authentizität, des auf den Punkt gebrachten Zeitgeistes. Dominierten als Helferikonen nach Kriegsende noch unhinterfragt die Ärzte („die Ärzte sagen“), die Körperingenieure, so schlug sie einen neuen, subjektiven Sound an, der den Übergang in die Therapiegesellschaft ankündigte: Man begann über alles zu reden, und die Knef, die nie eine psychologische Beratung wollte, vorneweg. Eine einzige One-Woman-Talkshow, in Sachen Kriegsende mit ihrem „Geschenkten Gaul“, in punkto Krebserkrankung („Das Urteil“, ein Verkaufserfolg auch dies). Die Knef, die Frau, das Opfer, das Objekt, das Anteilnahme einforderte. Erfolgreich.

Trimborn erkannte vor allem dies, nicht einmal unfreundlich gestimmt: Die Knef machte sich extra leidend, sobald die öffentliche Rolle es erforderte. Eine Frau, kurzum, die durch dieses Buch erst richtig kenntlich wird: Das ist keine Nestbeschmutzung, keine Geschmacklosigkeit, kein Fehlen an Pietät, sondern auch der Versuch, das Genre der Starbiografie intellektuell von den vorgeschriebenen Blickwinkeln der Promotionabteilungen zu befreien.

Trimborns Verlag hat sich bislang einschüchtern lassen und das bereits gedruckte Buch nicht auf den Markt gelassen. Der Anwalt des Autors findet das unnötig, die Invektiven des Paul von Schell seien nicht der Rede wert, presserechtlich ohne Belang und vor keinem Richter zur Geltung zu bringen. Die angedrohte Klage gegen den Knef-Biografen hat der Witwer der Knef längst zurückgezogen: Er wird seine Gründe haben, es nicht auf eine Beleidigungsanzeige ankommen zu lassen. Er will, so hört man, schließlich selbst noch mit seiner Frau Geld verdienen.

Ob Hildegard Knef nun ein Tort angetan wurde? Nicht eine Wimper, sozusagen, ist ihr gekrümmt worden. Im Gegenteil. Das Lehrstück, wie man im deutschen Muff der 40er- bis 70er-Jahre hart am eigenen Kunstwerk arbeiten musste und es auch schaffen konnte, ist nur umso kenntlicher geworden. Hildegard Frieda Albertine Knef hat vieles erflunkert. Aber sie war groß.

JAN FEDDERSEN, Jahrgang 1957, hält die Knef erst seit der Lektüre des Buchs von Jürgen Trimborn für eine wahre Heldin. Zu ihrem achtzigsten Geburtstag empfiehlt er vor allem ein Chanson: das „Ostseelied“. Knefs Hits sind ohnehin längst Popklassiker