Stadtgespräch
: Tschüss, Sowjetunion!

In der ostukrainischen Stadt Charkiw wird heftig über die Umbenennung dreier Bezirke gestritten

Barbara Oertel aus Charkiw

Lenin, der war mal“, sagt der Journalist Juri Larin und lässt seinen Blick über den Freiheitsplatz in der ostukrainischen Millionenstadt Charkiw schweifen. Seine Schadenfreude kann und will er nicht verbergen. Seit 1963 hatte hier der 8,5 Meter große Oberbolschewik aus Bronze über die Geschicke Charkiws gewacht, bis ihn wütende proukrainische, vielfach rechtslastige Aktivisten am 28. September 2014 von seinem roten Granitsockel holten. „Aber“, sagt Juri, „auch wenn das Denkmal weg ist, gerade dieser Tage zeigt sich doch, wie sowjetisch die Menschen hier noch ticken.“

Reichlich Anschauungsmaterial in Sachen Zählebigkeit des Homo sovieticus bietet derzeit eine hitzige und bisweilen handgreifliche Debatte über die Umbenennung von Straßen, Parks und Plätzen in Charkiw. Im Mai dieses Jahres verabschiedete die ukrainische Regierung, die offensichtlich keine dringlicheren Probleme hat, ein Gesetz zur „Dekommunisierung“. Laut dieser Vorschrift müssen Lenin-Statuen und andere Monumente aus der Sowjetzeit abgebaut beziehungsweise Straßen, Plätze und Firmen, die an diese glorreiche Epoche erinnern, umbenannt werden.

In Charkiw, wo die Mehrheit der Bewohner noch letzten Juli gegen derartige Maßnahmen war, sind 173 Straßen, vier Parks und eine U-Bahn-Station betroffen. Letztere wird nicht mehr „sowjetisch“, sondern „Platz der Verfassung“ heißen. Der Park „Sowjetische Ukraine“ trägt fortan den wohlklingenden Namen „Traktorfabrik“.

So weit, so gut, einmal abgesehen davon, dass der ganze Spaß mal eben umgerechnet 400.000 Euro kostet, was für eine Stadt, die sich um knapp 200.000 Flüchtlinge aus dem Donbass kümmern muss, keine Kleinigkeit ist

Für drei Bezirke der Me­tro­po­le hatten sich die Stadtoberen einen besonderen Winkelzug einfallen lassen. So soll der Stadtteil Oktober, dessen Bezeichnung bislang an die Revolution von 1917 erinnerte, auch weiterhin so heißen. Allerdings wird fortan der Befreiung der Ukrai­ne von den Nazitruppen am 28. Oktober 1944 gedacht.

Auch im Stadtteil Dscherschinski soll alles beim Alten bleiben. Felix Dscherschinski, Chef der ersten sowjetischen Geheimpolizei, wird jedoch von seinem Bruder Wladislaw abgelöst, der Arzt war. Der Bezirk Frunse ist nach dem bolschewistischen Militärkommandeur Michail Frunse benannt. Das Erbe soll sein Sohn Timur antreten, der 1942 im Krieg fiel und als Held der Sowjetunion ausgezeichnet wurde.

„Ich weiß nicht, welches Spiel unser Bürgermeister Gennadi Kernes da treibt“, empört sich Igor Solomadin, der ganze Generationen von Schülern in Geschichte unterrichtet hat. Das wussten offensichtlich auch einige Aktivisten nicht, die im November während einer öffentlichen Anhörung zum Thema aus Protest die Bühne stürmten. Vielleicht gefielen ihnen auch nicht die vielen städtischen Mitarbeiter, die, auch das sehr so­wje­tisch, eigens zu der Veranstaltung gekarrt worden waren.

Igor empfiehlt dann noch einen Schnellimbiss im Zen­trum. Dort kann man ein Sandwich „Proletarski“ kaufen. Das wird auf Wunsch auch mit einer Scheibe „Königskäse“ belegt.