Trink‘ Kraft und Weisheit

Chemiker tüfteln an neuen Lebensmitteln, die Krankheiten vorbeugen und ein längeres Leben ermöglichen sollen. Verbraucherzentrale warnt vor irreführenden Versprechungen. An ausgewogener Ernährung führt kein Weg vorbei

von gernot knödler

Die Segnungen der Lebensmittelchemie sind beeindruckend, wenn sie denn wirken sollten: „Belebung und Wohlfühlen“, „Zellschutz-Vitamine“, „Wellness live“, „Kraft und Weisheit“. „Da wird das Blaue vom Himmel herunterversprochen“, sagt Silke Schwartau von der Verbraucherzentrale, die diese Sammlung von Werbesprüchen auf Wellness-Getränken zusammengetragen hat. Ihrer Beobachtung nach verlieren natürliche Lebensmittel an Boden gegenüber einem wachsenden Angebot an technisch aufgerüsteter Nahrung. Ob es sich lohnt, dafür mehr zu bezahlen, sollte im Einzelfall genau geprüft werden.

Seit die Menschheit Ackerbau und Viehzucht betreibt, arbeitet sie an nahr- und schmackhafteren Lebensmitteln. Sie hat gezüchtet, gekocht, konserviert, gewürzt und dabei ihre Methoden ständig verfeinert. Mit der Lebensmittelchemie sind neue Methoden und Stoffe hinzugekommen – zuletzt der Anspruch, die Nahrung über den Nährstoffgehalt und den Geschmack hinaus mit Eigenschaften zu versehen, die „Körperfunktionen positiv beeinflussen, indem der Gesundheitszustand verbessert wird oder Krankheitsrisiken verringert werden“. Die Lebensmittelchemiker nennen das „functional food“, sofern es im Rahmen der normalen Ernährung und nicht in Pillen, Pulver oder Kapseln verspeist wird.

Schwartaus Sammlung von Wellness-Getränken vermittelt eine Ahnung davon, was den Konsumenten in dieser Produktkategorie erwartet, die sich zunehmend in den Supermärkten ausbreitet. In der bunten Batterie von Flaschen findet sich ein Teilchenzoo an Inhaltsstoffen mit Gesundheitsimage: Vitamine, Mineralstoffe, pflanzliche Zusätze wie Aloe Vera oder Ginseng, Leistungssteigerer wie Coffein, Ballaststoffe, lebende Organismen wie im Joghurt – ja sogar Sauerstoff.

Der Nachweis, dass so ein aufgerüstetes Lebensmittel Körperfunktionen verbessert, sei durchaus schwierig, sagt Professor Hans Steinhart von der Uni Hamburg. Wohl könnten Vitamingehalte im Blut gemessen oder biochemische Prozesse beobachtet werden, letztlich umfasse die Wirkung aber den gesamten Körper. Und Vitamine wie E oder Folsäure bestünden aus einer Vielzahl von Substanzen, die unterschiedlich wirkten. Vitamin ist nicht gleich Vitamin.

Nach der Novel-Food-Verordnung zugelassen werden müssten nur die wenigsten angereicherten Lebensmittel, weil meist „nur klassische Stoffe zugesetzt“ würden (Vitamine, Jod), sagt Michael Warburg, der bei Unilever Bestfood die Tüftelei an neuer Nahrung leitet. Mit der Margarine „Becel pro activ“ hat das Unternehmen das erste Produkt auf den Markt gebracht, dessen Wirksamkeit amtlich bestätigt worden ist. „Bioaktive Substanzen“, wie sie „in vielen pflanzlichen Lebensmitteln wie Nüssen oder Sonnenblumenkernen sowie daraus hergestellten Pflanzenölen enthalten“ seien, blockieren die Aufnahme unerwünschten Cholesterins durch den Darm und beugen so dem Herzinfarkt vor.

Im Gegensatz zum Medikament gehe es beim Functional Food darum, Gesundheitsrisiken zu verringern, sagt Warburg. Er hält Nahrung gegen Bluthochdruck für denkbar. Steinhart sieht das Stoppen von krebserzeugenden Oxidationsprozessen als Ansatzpunkt für die Forschung und verweist auf Japan, wo es gentechnisch erzeugten Reis zu kaufen gebe, den auch Reis-Allergiker vertragen.

Er sieht aber auch Handlungsmöglichkeiten bei der schonenderen Konservierung von Lebensmitteln und plädiert auf der Lowtech-Ebene für die Zugabe von Ballaststoffen. Steinhart: „Es ist nichts schlimmer, als wenn sich im Verdauungstrakt nichts bewegt.“ Der Verzehr von Frühstücksflocken sei daher an sich zu begrüßen – „aber da tun sie Zucker hinein“, schränkt er ein. Der Professor wirbt deshalb dafür, die Ernährungsberatung zu stärken. Die Verbraucherberaterin Schwartau ist da skeptisch: „Sie kommen auch mit mehr Ernährungsberatung gegen die Werbemillionen nicht an.“