Der Tatendrang von Sir Andy

TENNIS Nach 79 Jahren gewinnen die Briten endlich mal wieder den Davis Cup. Es ist eigentlich ein schottischer Triumph, denn der Weltranglistenzweite Murray wächst über sich hinaus

Glücklich sinkt er dahin: Andy Murray im Angesicht des Sieges  Foto: reuters

Die Nacht war kurz gewesen; die Helden des Empires sahen blass aus beim ersten Termin am Morgen danach. Aber jede andere Nachricht hätte die Fans auf der Insel sicher enttäuscht, denn wenn der Sieg im Davis Cup, der erste für das Vereinigte Königreich seit 1936, kein Grund zum Feiern war, was dann? Der Buckingham Palace hatte Glückwünsche an die Mannschaft um Andy Murray geschickt, auch Premierminister David Cameron, und der schwerreiche Lord Sugar, Mitglied des House of Lords, hatte geschrieben, er werde sich umgehend mit dem Vorschlag an den Premierminister wenden, Murray bald zum Ritter zu schlagen. Sir Andy.

Selbst jene Begleiter, die Murrays Sieg bei den Olympischen Spielen in London 2012 und den Triumph in Wimbledon im Jahr danach gesehen und gefeiert hatten, fragten sich nach dem spektakulär verwandelten Matchball gegen Belgien, ob das doch wirklich wahr sein könne. Großbritannien ist zwar die einzige Nation, die seit der ersten Ausgabe des Davis Cups anno 1900 in jedem Jahr mitgespielt hatte und die in der Siegerliste hinter den USA (32) und Australien (28) an dritter Stelle stand, aber all die Erfolge stammten aus den Zeiten der Doherty-Brüder zu Beginn des 20. Jahrhunderts und später aus der Zeit des großen Fred Perry in den Dreißigern. Vor fünf Jahren hatte die britische Mannschaft noch in der 2. Liga, der Europa/Afrika-Division, gegen den Abstieg gespielt; so viel zur Realität der jüngeren Vergangenheit.

Andy Murray beantwortete die Frage, ob es wirklich möglich sei, den wichtigsten Mannschaftspokal des Tennis fast im Alleingang zu gewinnen, in diesem Jahr mit elf Siegen; acht im Einzel und drei im Doppel an der Seite seines älteren Bruders Jamie. Er war in der ersten Runde des Davis Cups zur Stelle, dann im höchst anspruchsvollen Viertelfinale gegen Frankreich, nur eine Woche nach dem Ende des Wimbledonturniers, schließlich im Halbfinale gegen Australien und im Finale gegen Belgien. Und keiner hätte sich einen besseren Teamspieler wünschen können. Es ist kaum zu glauben, aber kurz bevor sich die Mannschaft auf den Weg nach Belgien gemacht hatte, hatte ihm der ehemalige englische Profi David Lloyd noch vorgeworfen, er tue nicht genug, um die Entwicklung des Tennis in Großbritannien zu unterstützen.

„Ich hoffe, Andy kriegt jetzt endlich den Respekt, den er verdient“, schrieb der ehemalige Fußballstar Gary Lineker nach dem Sieg. Die Engländer, auch die Korrespondenten der großen Zeitungen aus der Londoner Fleet Street, taten sich schwer mit dem etwas störrisch und bärbeißig wirkenden Schotten. Sie hatten sich gern an Tim Henman gewöhnt, der meist die glatte Form wahrte, mit der ehrlichen Direktheit von Murray hatten sie ein Problem.

Inzwischen haben sie sich einander genähert, und es gehört vielleicht zu den größten Verdiensten des Schotten, sich auf dem steinigen Weg nach oben nicht verändert zu haben. Im Kreise der Tennisspieler gibt es viele Kollegen, die in den höchsten Tönen von diesem Mann ­reden.

Warum das so ist, das sah man unmittelbar nach dem Matchball gegen Belgiens Nummer eins, David ­Goffin. Murray fiel zu Boden, rappelte sich schnell wieder auf, und ohne sich zuerst groß feiern zu lassen, ging er auf die Seite der Belgier, sprach lange mit dem Teamkapitän und bedankte sich bei jedem einzelnen Spieler. Erst danach ging er zu den Seinen.

Guardian: „Die Geister der Vergangenheit zu besiegen ist Murrays Spezialität“

Glückwunschschreiben aus der Tenniswelt trafen im Minutentakt ein. Und da Sportler oft sagen, Lob von Kollegen sei besonders viel wert, müsste sich Murray die Nachricht des Spaniers Feliciano Lopez einrahmen lassen. Der schrieb: „Was du fürs britische Tennis getan hat, Andy Murray, ist außerirdisch. Ich gratuliere dir von Herzen, Mann“, und dazu setzte er ein knallrotes Herz. Das dürfte Judy Murray, der Mutter von Andy und ­Jamie, gut gefallen haben. Sie hat schon vor Jahren ihre Schwäche für Lopez offenbart.

Doris Henkel