Hören Vor einem Jahr löste der Podcast „Serial“, eine erzählte Reportage über einen Mordfall, einen Hype aus. Wie hat das die Szene des Audio-Storytelling in den USA verändert?
: Erzähl‘ mir was, was ich nicht seh’

Die Show: In der 12-teiligen Serie lässt Reporterin Sarah Koenig die Hörer an den Recherchen zu einem 15 Jahre alten Mord an einer Highschool teilhaben. Mit über 1,5 Millionen Hörern pro Folge wurde „Serial“ zum erfolgreichsten Podcast aller Zeiten.

Die Rezeption: Zeitungen und TV-Talkshows berichteten, im Netz wurden die Inhalte heiß diskutiert. Insbesondere auf Foren wie Reddit wurde spekuliert, wer der Mörder sein könnte.

Staffel 2: Am vergangenen Donnerstag startete die zweite Staffel exklusiv auf der Musikplattform Pandora. Laut Medienberichten soll es um den US-Soldaten Bowe Bergdahl gehen, der in Afghanistan von einer Taliban-nahen Gruppe gekidnappt wurde.

In Deutschland: Wie der Hype um „Serial“ die deutsche Podcast-Szene verändert hat, lesen Sie in zwei Wochen.

VonMeike Laaff

Mit Obama in der Garage

US-Podcaster sind euphorisch: Seit einem Jahr scheint es endlich, als habe sich ihr abonnierbares Tonformat aus der Nische herausgearbeitet. Gerade der Hype um „Serial“ hat viele Menschen veranlasst, auf die Suche nach ähnlich attraktiven Podcasts zu gehen.

Tatsächlich finden Podcasts schon seit Jahren immer mehr Hörer – langsam, aber stetig. Laut dem US-Meinungsforschungsinstitut Pew hat sich die Zahl der US-Amerikaner, die im Monat vor der jeweiligen Befragung mindestens einen Pod­cast gehört haben, verdoppelt: auf knapp 20 Prozent. Darunter seien ebenso viele Männer wie Frauen, jeder dritte Zuhörer sei jünger als 34, ergänzte Edison Research.

Als Sternstunde feierte die US-Podcast-Szene auch den Besuch von Barack Obama bei einem Podcast namens WTF: Eine Stunde lang saß der US-Präsident in der Studio Garage von Comedian Marc Maron in Los Angeles, um mit ihm zu plaudern. Das ist mehr Zeit, als Obama mit den meisten Hauptstadtjournalisten verbringt. „Unglaublich, dass das passieren kann“, sagte Maron hinterher. Für Obama eine gute Medienstrategie: Er wolle, erzählte er im Podcast selbst, damit auch Leute erreichen, die „nicht so tief in der Politik drinstecken“.

Sich in Netzwerken verbünden

Alex Blumberg hatte eigentlich alles: einen Job bei der Wirtschaftsradioshow „Planet Money“ im öffentlichen Rundfunk der USA – und als ehemaliger Mitarbeiter der erfolgreichen Radioshow „This American Life“ (TAL), die seit Jahren von einer Dreiviertelmillion Menschen als Podcast gehört wird, auch einen guten Ruf in der Branche. Trotzdem entschied er sich im vergangenen Jahr, alles auf eine Karte zu setzen und ein Unternehmen zu gründen. Ein Podcast-Netzwerk. Dessen Gründungsprozess er dann schon fast schmerzhaft transparent machte – in einer Show namens „StartUp“, in der er von den großen und kleinen Niederlagen berichtete.

Blumberg entschied sich für die Gründung seiner Gimlet Media Company, lange bevor „Serial“ durch die Decke ging. Ebenso wie das crowd­finanzierte Podcast-Netzwerk Radiotopia. Andere Podcast-Netzwerke ließen sich vom „Serial“-Erfolg inspirieren: Das Onlinemagazin Slate.com etwa, das schon seit Jahren Gesprächsrunden mit eigenen Redakteuren verpodcastet, gründete Anfang 2015 das Podcast-Netzwerk Panapoly, um ähnliche Shows auch für andere große Medien zu produzieren – von Produktionen für die New York Times bis zu einem Hörspielformat für General Electric.

Die Vorteile eines Podcaster-Netzwerks: Die Werbevermarktung wird einfacher. Und die Netzwerke dienen dazu, Shows bekannter zu machen. Denn neue Hörer finden Podcaster vor allem über persönliche Empfehlungen in bekannten Shows.

Die Popularität von „Serial“ und „StartUp“ hängt auch damit zusammen, dass deren jeweilige Piloten in voller Länge bei TAL liefen und damit automatisch 750.000 Hörer fanden. Erst danach landeten sie als reiner Podcast im Netz.

Die Kultur des Storytelling

Schon lange vor dem Start von „Serial“ – einem Spin-off der Hörfunksendung „This American Life“ (TAL) – zeichnete sich eine neue Kultur des Storytelling in Audioformaten ab: Sendungen wurden aufwendig mit Sounds und Musik produziert, Geschichten so stringent und wendungsreich erzählt, als handle es sich um fiktionale Stoffe. „Narrativen Journalismus“ nennt Ira Glass von TAL das in der Graphic Novel „Out on the Wire“. Darin versucht Autorin Jessica Abel, im Gespräch mit den einflussreichsten Podcast- und Radiomachern der USA zu ergründen, wie diese Kultur des Storytelling entstanden ist und was sie ausmacht.

Shows wie TAL, so erfährt man in Abels Buch, stellen Cha­raktere ins Zentrum, die eine überraschende Entwicklung durchmachen. Einig sind sich die Audiogeschichtenerzähler, dass ein wichtiges Thema noch lange keine gute Geschichte ausmacht, dass es unerwartbare Momente, Personenzeichnung jenseits von Klischees geben muss; dass schon vor den Recherchen eine Idee da sein sollte, wie die Geschichte am Ende aussehen soll. Weitere Rezepte: guter Geschmack, Teamfähigkeit, Leidenschaft und die unermüdliche Bereitschaft zu harter Arbeit.

Junge Talente haben es schwer

Die 50 populärsten Podcasts in den USA teilen etwa 90 Prozent der Hörerschaft unter sich auf. Oder umgekehrt: Podcast-Neulinge ohne Verbindungen haben es recht schwer, Hörer zu finden. Auch weil Podcast-Apps wie die von Apple vor allem die Shows anpreisen, die ohnehin bereits populär sind.

Und so lösen auch Podcasts die großen Demokratisierungsversprechen des Internets kaum ein. Zwar können Audioformate mit wenig Aufwand produziert und publiziert werden. Trotzdem werden die meisten erfolgreichen Shows von weißen Männern aus der Mittelschicht gemacht. Zu den wenigen Ausnahmen zählen das Comedyformat „The Read“ des jungen schwarzen Duos Kid Fury und Crissle oder „Snap Judgement“ von NPR mit dem schwarzen Moderator Glynn Washington.

Zudem beobachtet die Branche, dass junge Radiotalente dem öffentlich-rechtlichen Radio davonlaufen und lieber gleich direkt bei Podcasts andocken – angezogen von dem innovativen Storytelling und der Experimentierfreude populärer Formate. Talente wie etwa Peter Champelli, Student aus Louisville, Kentucky, der den Erzählduktus der hochangesehenen Moderatorin Ira Glass von „This American Life“ täuschend echt imitiert.

Einzigartige Form der Werbung

Mailchimp, Audible.com und Squarespace: diese Unternehmen sind Sponsoren vieler populärer Podcasts. Präsentiert werden all diese Firmen so, wie es uralte Radiotradition in den USA ist: Es werden keine kreischenden Radiospots eingespielt – stattdessen verlesen die Moderatoren den Werbetext selbst, erzählen von ihrer persönlichen Erfahrung mit dem Produkt oder lassen sich von Nutzern kleine Geschichten dazu erzählen. So wird die Werbung zum Bestandteil der Sendung – durch Sound und Ankündigung jedoch klar von der restlichen Show abgegrenzt.

„Das ist eine einzigartige und etwas altmodische Form der Werbung, aber eben auch einzigartig effektiv“, sagt Andy Bowers, Produzent der Slate-­Pod­casts, in einem Artikel auf Slate, in dem die Werbepreise populärer Pod­casts auf 15 bis 45 Dollar pro 1.000 Hörer beziffert werden. Beträge, von denen Newsseiten, die weiter tief in der Anzeigenkrise stecken, nur träumen können.

Besonders attraktiv für die Werbebranche ist die enge Beziehung von Podcast-Moderatoren und ihrer Hörerschaft: Zum einen erlaubt Werbung in Nischen-Podcasts eine zielgruppengenaue Ansprache von Menschen, die nicht nur inhaltlich interessiert sind, sondern so leidenschaftlich involviert, dass sie ihren Lieblingspodcastern binnen Kurzem ganze Staffeln via Spende finanzieren. Die Marketingfirma eMarketer schätzt, dass das Werbevolumen für digitales Radio 2015 um über 25 Prozent auf 2,7 Mil­liar­den Dollar ansteigen wird. Von dieser ermutigenden Ptognose profitieren aber natürlich nicht alle Shows gleichermaßen: Laut Ann Friedman von der Columbia Journalism Review interessieren sich Werber erst für Podcasts mit mehr als 50.000 Downloads pro Folge.