Bundeswehr gegen IS: Echt jetzt?

KRIEG Merkel will Tornado-Aufklärungsjets, Tankflugzeuge und ein Schiff nach Syrien schicken▶Seite2, 12

Foto: PIZ – Luftwaffe/picture alliance

So nicht!

Vier Jahre hat sich die Bundesregierung nicht für den Syrien-Konflikt interessiert. Nicht, als Assads Truppen friedliche Demonstranten zusammenschossen und folterten. Nicht, als Assads Luftwaffe begann, Fassbomben auf die Zivilbevölkerung zu werfen. Und auch nicht, als der „Islamische Staat“ ein Terrorregime errichtete und Kobanê angriff. Als die USA den Kurden half, stand die Bundesregierung abseits.

Nach Paris, also seitdem klar ist, dass nicht nur Syrer, sondern auch westliche Bürger vom IS-Terror betroffen sind, ist alles anders. Klar ist: Den IS kann man ohne militärische Mittel nicht besiegen. Die Lieferung deutscher Waffen an die kurdischen Peschmerga im vergangenen Jahr war deshalb richtig – und es wäre auch richtig gewesen, hätte sich die Bundesregierung schon damals an Lufteinsätzen zum Schutz Kobanês gegen den IS beteiligt.

Die Beteiligung am jetzigen Einsatz ist nach allem, was wir derzeit wissen, dennoch falsch. Russlands Eingreifen in den Konflikt – auch das ein Nebeneffekt des jahrelangen Wegschauens – hat die Lage entscheidend verändert. An einen Kompromiss mit dem Assad-Regime wird man daher kaum vorbeikommen. Entscheidend ist aber, was mit den Gebieten geschieht, die derzeit in der Hand von Milizen sind, die nicht zum IS gehören – und den Kurdengebieten. Der Westen sollte als Teil einer Friedenslösung eine Bestandsgarantie für das Assad-Regime in seinen jetzigen Grenzen garantieren. Im Gegenzug sollte er von Putin und Assad eine Nichtangriffsgarantie für die Milizen- und Kurdengebiete einfordern. Davon ist bisher nichts bekannt.

Klar ist ebenso: Luftangriffe werden gegen den IS nicht ausreichen. Wer aber soll die Bodentruppen stellen, um diese Gebiete zu befreien? Die Kurden? Die Türkei? Die Anti-Assad-Milizen? Oder bombt der Westen Assad den Weg nach Rakka frei – und nimmt die anschließenden Folterungen billigend in Kauf? Der Westen hat im Nahen Osten ein Glaubwürdigkeitsproblem, weil er Diktatoren unterstützt, die Stabilität versprechen, und sich ansonsten für die Region nur interessiert, wenn ihm Terroristen das Thema auf die Tagesordnung setzen. Es sieht nicht so aus, als würde der deutsche Syrien-Einsatz den Westen glaubwürdiger machen.

Vier Jahre hätte die Bundesregierung Zeit gehabt, über einen Militäreinsatz in Syrien nachzudenken. Der jetzt geplante riecht nach Aktionismus. Einem halbherzigen. Die Deutschen stellen die Aufklärer, die anderen die Bomber. Wenn der Einsatz – wie bei einem reinen Luftkrieg üblich – immer mehr zivile Opfer fordern wird, weil die militärischen Ziele längst ausgegangen sind, werden nur Franzosen und Amerikaner die volle Verantwortung übernehmen müssen. Das nennt man im militärischen Jargon feige.

Vieles erinnert an den Afghanistan-Einsatz. Damals hatte Deutschland Osama bin Laden auch so lange ignoriert, bis es nach 9/11 nicht mehr ging. Die Scherben des anschließenden Einsatzes kehrt die Bundesregierung gerade zusammen. Martin Reeh

Gar nicht!

Was wollte der IS mit seiner Anschlagsserie erreichen? Er hat ja nicht nur in Paris zugeschlagen, sondern auch in Ankara, Beirut und zuletzt in Tunis, und er hat ein russisches Flugzeug über dem Sinai zum Absturz gebracht. Der IS setzt schon lange alles daran, die ganze Welt gegen sich aufzubringen. Nun will er mit seinem Terror offenbar die Regierungen all der betroffenen Länder zum gemeinsamen Gegenschlag provozieren und sie zum Kampf herausfordern. Eine Entscheidungsschlacht in Syrien, das entspricht der apokalyptischen Endzeit-Ideologie dieser Terrorsekte.

Frankreich tappt reflexhaft in diese Falle und wiederholt den Kardinalfehler der westlichen Außenpolitik nach 9/11: zu glauben, eine Demonstration militärischer Stärke würde die Dinge zum Besseren wenden. Dabei zeigt die Außenpolitik der vergangenen Jahre genau das Gegenteil: Jede westliche Militärintervention im neuen Jahrtausend hat die Zustände in den Ländern, deren Bevölkerungen eigentlich „befreit“ werden sollten, zum Teil dramatisch verschlimmert. Das gilt vor allem für Libyen und den Irak, wo die militärische Einmischung des Westens die Entstehung und Ausbreitung des IS erst ermöglicht hat. Es ist erschreckend, wie der Dschihadismus seit dem 11. September 2001 an Terrain gewonnen hat.

Der Westen steht vor dem Scherbenhaufen seiner Außenpolitik. Er ist in Afghanistan und Mali gescheitert und hat die Zerstörung des Iraks und Libyens befördert. In Syrien hat er etwas vorschnell die Parole „Assad muss weg!“ ausgerufen. Nun muss er zähneknirschend zusehen, wie Wladimir Putin dem syrischen Diktator aktiv zur Seite springt. Die Bombardements Russlands, aber auch Frankreichs und der USA, tragen jedoch dazu bei, die Zahl der zivilen Opfer zu erhöhen und die Bevölkerung zusammenzuschweißen – hinter dem IS, ausgerechnet.

Dass Deutschland sich nicht am Krieg in Libyen beteiligen wollte, hat sich im Rückblick als richtige Entscheidung herausgestellt. Es sollte sich auch aus dem Krieg in Syrien heraushalten und Frankreich davon abhalten, dort nur noch mehr Unheil zu stiften.

So unbefriedigend es klingt: Wir werden mit dem IS wohl noch eine ganze Weile leben müssen – so wie mit Syriens Diktator Assad auch. Bekämpfen muss man sie, indem man sie isoliert, ihre Geldströme austrocknet und einen langen Atem beweist. Die UNO sollte dabei eine größere Rolle spielen. Mit Bomben und Bodentruppen wird man kurzfristig wenig ausrichten können, zumal ja noch völlig unklar ist, wer die Region regieren könnte, sollte der IS einmal geschlagen werden.

Statt sich an einem militärischen Abenteuer mit ungewissem Ausgang zu beteiligen, sollte der Westen mehr Flüchtlinge aus der Region aufnehmen. Das Geld für die Rettung dieser Menschen ist jedenfalls besser angelegt als in den Kassen der Waffenindustrie. Deutschland sollte deshalb mit gutem Beispiel vorangehen und großzügig Flüchtlinge aufnehmen, statt sich jetzt auch noch selbst am Blutvergießen in Syrien zu beteiligen. Daniel Bax