Der Sound der Stadt

Ungeschliffen in der U-Bahn: Die DVD „Berlin Analog“ porträtiert ambitionierte Straßenmusiker in Berlin. Mit einem Festival im Club Bastard feiert das Lieblingslied-Label die Veröffentlichung

VON MIRKO HEINEMANN

Eigentlich wollte Erik Stripparo nur für ein Wochenende in Berlin bleiben. Der Programmierer aus Mailand war auf dem Weg nach Australien, dann geschah etwas, das seine Pläne über den Haufen warf: „Ich habe eine Frau kennen gelernt.“

Jetzt lebt er seit acht Jahren in Berlin und zieht regelmäßig mit seiner Gitarre durch die Kneipen von Mitte und Prenzlauer Berg, wo er Coversongs und eigene Stücke präsentiert. Manchmal hat er einen Laptop als Begleitinstrument dabei, dessen Drumloops und Synthieklänge die Band ersetzen. Inzwischen liegt Material für ein komplettes Album mit eigenen Kompositionen vor, das er Anfang nächsten Jahres gerne auf seiner ersten CD herausbringen würde. Auch deshalb wird Erik Stripparo an diesem Wochenende beim Straßenmusikerfestival im Club Bastard auftreten. Immerhin gibt es einen ersten Preis zu gewinnen: vier Studiotage und die Pressung von 1.000 CDs.

Das Festival organisiert die Plattenfirma Lieblingslied-Records, die zeitgleich ihre neue DVD „Berlin Analog“ vorstellt. Der Film ist das Gegenstück zu der vor einem Jahr erschienenen Dokumentation über Elektro- Musik „Berlin Digital“. Die DVD enthält eine halbstündige Videodokumentation über die Berliner Straßenmusikszene, außerdem 13 Songs verschiedener Straßenmusiker, dazu ein Videoclip der Ohrbooten, derzeit Berlins berühmteste Straßenband. Auch Erik Stripparo ist auf der DVD vertreten. Mit einem Liebeslied.

Die Songs sind auf der Straße, in der Kneipe oder in der U-Bahn aufgenommen worden. „Dort, wo sie auch sonst zu hören sind“, erklärt Felix Claßen, einer der Produzenten von „Berlin Analog“. Und es funktioniert: Stücke wie „Slowmotion“ von der Musikerin L oder „Wo die Sonne das Meer berührt“ von Guerilla Bar vermitteln eine atmosphärisch dichte Alltagsnähe. „Berlin Analog“ zeigt, dass die Musikschule der Straße nicht nur hart ist, sondern auch nützlich – davon zeugt schon allein die technische Virtuosität der Musiker.

Aus der Recherche nach Straßenmusikern für eine Compilation-CD entstand die Videodokumentation. „Während wir guerillamäßig auf der Suche nach überzeugenden Straßenmusikern durch Berlin zogen, kamen zwei dänische Filmemacher zu Besuch“, erinnert sich Produzent Felix Claßen. „Die waren so begeistert von dem Projekt, dass sie den Dokumentarfilm darüber gedreht haben.“ Die Filmemacher begleiten Musiker aus Deutschland, Russland, Italien und Spanien vom Straßenalltag bis ins Studio oder nach Hause. Erstellt im Amateurformat der Mini-DV, überzeugt das Video mit trashigem Charme und ist bereits auf zwei Filmfestivals gelaufen.

Für die „Berlin Analog“-Produzenten war indessen die hohe Qualität der Straßenmusiker erstaunlich. „Jeder zweite, den wir getroffen haben, war ein wirklich ambitionierter Musiker“, erzählt Felix Claßen. Seit der Recherche, das muss er zugeben, hat sich das Klangbild auf Berlins Straßen allerdings eher zum Nachteil verändert. So dominierten in diesem Sommer Musikgruppen aus Osteuropa, die immer wieder an den gleichen Cafés vorbeizogen und ein, zwei Stücke sangen. Immer die gleichen und meist noch schlecht.

Für die ambitionierten Straßenmusiker ist diese Konkurrenz verhängnisvoll. Denn wer im Anschluss an solch penetrante Vorstellungen noch den Mut hat, sich allein mit seiner Gitarre vor die genervten Cafégäste zu stellen, wird von vornherein ausgebuht. Oder Schlimmeres: Immer mehr Cafés und Kneipen lassen Straßenmusiker grundsätzlich nicht mehr spielen.

„Früher konnte man als Musiker damit rechnen, in jeder Kneipe gut aufgenommen zu werden“, erzählt Erik Stripparo. Heute kann er die Läden, in denen er spielen darf, an seinen Fingern abzählen. Euro-Umstellung, Wirtschaftskrise und die zunehmende Konkurrenz haben den ökonomischen Druck zudem noch verstärkt. Jetzt hofft Erik auf den Winter, dann sind wenigstens die musikalischen Drückerkolonnen wieder abgezogen. „Leider sind die Berliner dann aber wieder schlecht gelaunt.“

Auf dem Straßenmusikerfestival im Bastard hofft Erik einen Mitmusiker zu finden, der mit ihm durch die Kneipen zieht; zu zweit mache es mehr Spaß. Und wenn er schon nicht den ersten Preis gewinnt, dann vielleicht den dritten: ein Termin bei Promifriseur Udo Walz.

Internationales Straßenmusikerfestival Berlin, 29. 10., 10 bis 18 Uhr im Bastard, Kastanienallee 7–9, und auf der Kastanienallee. DVD „Berlin Analog“, Lieblingslied Records, 14,99 Euro