Eine Liebe für immer

FANS Die Tanzszene fiebert der Premiere von „Korinna und Jörg“ entgegen, einem Stück über ihre treuesten Zuschauer, das von heute an in den Sophiensælen zu sehen ist

Stapel von Programmheften aus 20 Jahren Tanzgeschichte in der Wohnung von Korinna und Jörg Foto: F.: Laurie Young

von Astrid Kaminski

Oft sitzen sie schon im Foyer und packen vor der Vorstellung noch eine mitgebrachte Stulle aus. Kurz bevor der Einlass beginnt, kommt dann jemand vom Theater – egal ob Sophiensæle, Ballhaus Ost, HAU Hebbel am Ufer, Schaubühne, die Halle usw. – und geleitet sie in den Saal. Erste Reihe. Da sitzen sie dann, wenn wir anderen hereinströmen, fast rührungslos, vertieft ins Programmheft oder kontemplativ abwartend. Manchmal ist die Zeremonie auch etwas anders. Beim HAU 3 zum Beispiel. Da fahren sie mit dem Lastenaufzug hoch in den letzten Stock und kommen dann direkt über die Bühne in den Saal.

Wer in Berlin oft Tanzbühnen besucht, weiß, wer die beiden sind. Korinna und Jörg. Die gehören dazu. Lieber ohne Nachnamen wollen sie in der Zeitung stehen. Sie, ehemals „Pförtner“ bei einem Betrieb in der Lichtenberger Herzbergstraße, er, ehemals Monteur bei einem anderen Betrieb in der Herzbergstraße. Sie mit Tilda-Swinton-Frisur über dem fein gezeichneten Gesicht, großen Ohrringen und Farbe im Outfit, er mit Vukohila und eher pragmatisch gekleidet. Seit 35 Jahren sind sie ein Paar.

Ohne Jörg käme Korinna nicht weit, es sieht immer ein wenig so aus, als würde er sie hinter sich herziehen, aber Korinna ist der Motor. Sie hatte vor 25 Jahren die Idee, Tanztheater auszuprobieren. Anruf bei der Osloer Fabrik, die es jetzt so nicht mehr gibt: „Sagen Sie mal, was ist das denn, Tanztheater? Ist das jetzt Tanz oder Theater?“ Butoh war es, der zähflüssige, moderne Geistertanz aus Japan. „Ein Sprung ins kalte Wasser“, sagt Korinna rückblickend. Aber das war der Anfang. Seitdem gucken sie jeden zweiten Tag Tanz. Ballett, Musical, Tanztheater, Performance, alles, was sich die zwei, deren Rente unter dem Existenzminimum liegt, leisten können.

Die Tänzerin und Choreografin Laurie Young, die durch die Choreografien von Sasha Waltz in Berlin berühmt wurde, ist Korinna und Jörg 1996 zum ersten Mal begegnet. Sie tanzte in „Allee der Kosmonauten“, die beiden saßen wie immer im Publikum. Heimspiel sozusagen, denn das Paar wohnt dort, wo das Stück spielt, in Marzahn. Die Aufführung war allerdings in den Sophiensælen. Mindestens eineinhalb Stunden sind sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln von ihrem Wohnort aus zu den Berliner Spielstätten unterwegs, eher länger. Und zurück garantiert länger. Korinna, die seit ihrer Geburt aufgrund von Sauerstoffmangel an einer spastischen Lähmung in den Beinen leidet, nimmt es sportlich. Aber sie würde schon gern etwas näher dran wohnen.

Und jetzt war auch noch Ausnahmezustand für einige Wochen, denn Laurie Young hat sie zum Thema ihrer ersten Choreografie, in der sie von außen steuert, gemacht: „Korinna und Jörg“. „Unser Stück“, nennt es Korinna. Die Probentermine im Podewil in Berlin-Mitte bedeuten, zusätzlich zum normalen Programm, einen enormen logistischen Aufwand. Auf das Abendprogramm zu verzichten ist trotzdem keine Option.

Korinna braucht den Tanz wie die „Luft zum Atmen“. „Im Sommerloch geht’s mir gar nicht gut“, sagt sie in einer Video-Einspielung. Laurie Young hat die beiden mit der Kamera diskret auf ihren genau geplanten Wegen begleitet. Aber die Videodokumente nehmen nur einen kleinen Teil des Stücks ein. Im Zentrum stehen elf Szenen aus Choreografien, die dem Paar besonders im Gedächtnis geblieben sind. Von Volker Eisenachs Jugendchoreografie „Die Zauberflöte“ (2000) und Christoph Winklers „Fatal Attraction“ (2002) über „Körperruin“ (2013) der ewigen Newcomerin Jule Flierl zu Toula Limnaios „Miles Mysteries“ von 2014.

Korinna brauchtden Tanz wie die „Luft zum Atmen“, sagt sie

Choreografien mit sehr unterschiedlichen Ästhetiken sind das. Auch die fünf Tänzer*innen, die die Ausschnitte aus Korinna und Jörgs Erinnerungen tanzen und ebenfalls von ihnen ausgewählt wurden, kommen aus unterschiedlichen Kontexten und Generationen. Eine Fusion aus Freie-Szene-Charakterleuten.

Laurie Young hat ihnen verboten, sich die Choreografien im Original auf Video anzugucken. Sie sollen sich ganz auf das einlassen, was ihnen beschrieben wird, selbst wenn „Erinnerung zu erfüllen unmöglich ist“. Und auch das Vokabular der ­Beschreibung ist – ein generelles Problem im Tanz – nur selten präzise. Darum sind die Gespräche über die Aneignung und die Reflexion über die Ergebnisse Teil des Stücks. Darum bleiben die Kostüme von Claudia Hill fantasieanregende Fragmente.

Eigentlich kann nichts schiefgehen für die Premiere. Korinna und Jörg gehören sowieso dazu, und Laurie Young hatte die schöne Idee, das zum Thema zu machen. Die Aufführungen werden auf jeden Fall ein großes Treffen von unterschiedlichsten Künstler*innen, vereint durch ihr treuestes Publikum.

„Korinna und Jörg“, 26., 27., 28. + 29. November, Sophien­sæle, 20.30 Uhr