Pflanzen essen
von Ariane Sommer
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Was für Millionen von Amerikanern das schönste Fest des Jahres ist, nämlich Thanksgiving, ist für Veganer das Pièce de résistance der Feiertage. Jedes Mal fragt mich mein amerikanischer Schwiegervater, ­woraus mein Kürbiskuchen denn besteht. Aus Gras, haha? Genau. Gras. Und Baumrinde. Selbiger Schwiegervater isst dann meist drei Stück davon.

Großes Entsetzen auch jedes Mal bei meinen fleischessenden Verwandten, wenn ich erzähle, dass ich mir einen Tofurky gönne, einen gummiartigen Tofu-Truthahn. Lustigerweise finden besagte Verwandte es gar nicht entsetzlich, einen toten Truthahn zu essen, dessen Inneres durch den Anus mit einer Brotfüllung gestopft wurde.

Auf Grußkarten, in Kindersendungen oder auf Facebook: überall wird der Truthahn gefeiert. Wohlgemerkt, sein lebendiges Abbild in all seiner gefiederten Pracht. Das ist ungefähr so, als ob Hannibal Lecter seine Opfer für Instagram fotografiert und ihnen einen Sepia-Filter verpasst, bevor er genüsslich das Gehirn aus ihren Schädeln löffelt. Da halte ich mich doch lieber an Favabohnen. Und Chianti. Jede Menge davon.

Thanksgiving ist für Veganer ohnehin ein Weinfest. Der heimlich vergossenen Tränen wegen – 46 Millionen Truthähne werden dafür alljährlich in den USA geschlachtet. Und wegen der großen Mengen an Wein, die wir trinken müssen, um Zen zu bleiben und unseren Tischnachbarn nach dem fünfundzwanzigsten Veganerwitz nicht die Gabel in die Seite zu rammen. Ich für meinen Teil feiere an Thanks­giving lieber Thanksliving und adoptiere über die Tierschutzorganisation Farm Sanctuary einen lebendigen Truthahn.

Ariane Sommer schreibt hier alle zwei Wochen über veganes Leben Foto: Manfred Baumann