Neues Angebot in WTO-Verhandlungen

In der EU kann sich Frankreich mit seiner Veto-Drohung nicht durchsetzen. Die umstrittenen Zollschranken im Agrarbereich sollen deutlich gesenkt werden. Der Streit zeigt: Der Umgang mit der Globalisierung stellt die Union vor eine Zerreißprobe

„Liberalisierung um jeden Preis ist nicht im Interesse der Entwicklungsländer“

VON NICOLA LIEBERT

Gegen den massiven Widerstand Frankreichs hat die Europäische Union (EU) gestern ein neues Angebot über die Öffnung ihres Agrarmarktes vorgelegt. So will sie die festgefahrenen Verhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO) wieder in Gang bringen. Die umstrittenen Zollschranken, mit denen die EU ihre Landwirtschaft vor außereuropäischer Konkurrenz schützt, sollen um durchschnittlich 47 Prozent gesenkt werden, in Extremfällen sogar um 60 Prozent. Das bisherige EU-Angebot von 24 Prozent war von den Entwicklungsländern abgelehnt worden – sie hatten 54 Prozent gefordert.

EU-Handelskommissar Peter Mandelson betonte gestern, der Vorschlag liege vollkommen im Rahmen des Verhandlungsmandats der Kommission. Dies hatte Frankreich bestritten. Noch am Donnerstag drohte der französische Präsident Jacques Chirac auf dem informellen EU-Gipfel im englischen Hampton Court, er werde auf der WTO-Ministerkonferenz in Hongkong Mitte Dezember ein Veto gegen ein neues Welthandelsabkommen einlegen, um die Schutzzölle und Subventionen für die europäischen Landwirte zu erhalten. Schließlich sei die EU bereits mit ihrer Agrarreform von 2003 in Vorleistung getreten. Damals wurden die Beihilfen für Landwirte von der Produktionsmenge abgekoppelt, um weniger Überschüsse zu produzieren. Frankreich ist mit jährlich rund 10 Milliarden Euro größter Nutznießer der EU-Agrarsubventionen.

Die EU hat jedoch ein starkes Interesse an einem Abkommen, weil sie sich ihrerseits von den Entwicklungsländern eine stärkere Marktöffnung für Industriegüter sowie Dienstleistungen aus dem Norden erhofft. Mandelson betonte gestern: „Europas wichtigste Handelspartner müssen verstehen, dass diese Offerte gebunden ist an sofortige Bewegung bei Industriegütern und Dienstleistungen.“

Die entwicklungspolitische Organisation WEED lehnt aber aus diesem Grund das geplante Abkommen ab. „Eine Liberalisierung um jeden Preis ist nicht im Interesse der Bevölkerungsmehrheit in den Entwicklungsländern“, sagt Handelsexperte Peter Fuchs.

Der Agrarhandel ist das Kernstück der als Entwicklungsrunde bezeichneten aktuellen WTO-Verhandlungen. Darauf haben die Länder des Südens bestanden. Doch alle bisherigen Gespräche im Vorfeld der Ministerkonferenz scheiterten bislang. Zwar hatten EU und USA bereits signalisiert, dass sie die Exportsubventionen abschaffen, mit denen sie die Preise für viele Agrargüter auf dem Weltmarkt kaputtmachen. Auch zu einer Reduktion der von der WTO als besonders marktverzerrend eingestuften Agrarbeihilfen um 70 Prozent erklärte sich die EU-Kommission zum Ärger Frankreichs bereit.

Doch an den Agrar-Einfuhrzöllen hakte es bislang. Mit dem gestrigen Einlenken der EU ist jedoch die Wahrscheinlichkeit deutlich gestiegen, dass die 2001 in der katarischen Hauptstadt Doha gestartete Verhandlungsrunde nun doch noch im kommenden Jahr zum Abschluss gebracht wird.

Der Gipfel in Hampton Court zeigte jedoch, vor welche Probleme sich die EU durch die Globalisierung gestellt sieht. Nicht nur bei Agrarthemen fällt es den Mitgliedsstaaten schwer, zu einer gemeinsamen Position zu finden. So erzielten sie am Donnerstag keine Einigung über den geplanten Globalisierungsfonds, aus dem negativ betroffene Arbeitnehmer und Regionen beim Strukturwandel unterstützt werden sollen. Dass überdies auch der erneute Versuch scheiterte, den EU-Haushaltsrahmen für den Zeitraum 2007 bis 2013 festzuzurren, überrascht da schon nicht mehr.