Handelsreisender in Sachen Tod

ABGANG Roger Kusch hat sich schon als Staatsanwalt und Politiker versucht. Erst als selbst ernannter Sterbehelfer scheint er seine endgültige Bestimmung gefunden zu haben

Ohne Roger Kusch hätte die Sterbehilfe in Deutschland vermutlich ein anderes, ein besseres Renommee

Der Abgang war gut vorbereitet, wie es sich für einen Sterbehilfeverein gehört. Kaum war am 6. November der Bundestagsbeschluss verkündet, die gewerbsmäßige Sterbehilfe verbieten zu wollen, wurde die längst vorbereitete Mitteilung über den E-Mail-Verteiler geschickt. Der Kernsatz: „Um strafrechtliche Risiken auszuschließen, wird Sterbehilfe Deutschland e. V. nach dem 30. November 2015 keine Suizidbegleitungen mehr ermöglichen.“

Der Bundestagsbeschluss zeigte damit nur Minuten nach seiner Verkündung bereits die erhoffte Wirkung. Denn von vornherein war das Gesetz auch als „Lex Kusch“ gedacht worden, als Gesetz also, das dem ehemaligen Hamburger Justizsenator Roger Kusch und seinem Suizid-Verein das Handwerk legen sollte.

Doch Kusch ist keiner, der einfach so die Segel streicht. Längst hat der 61-Jährige, der sich durch seine Sterbehilfe-Aktivitäten den Spitznamen Dr. Tod einbrachte, entschieden, mit einer Beschwerde gegen das Gesetz vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Das ist ein juristischer Schritt, der ihm aber gleichzeitig eine neue Bühne öffnet. Und der Jurist liebt die große Bühne und die Selbstinszenierung.

Mit Hochgenuss hatte er erst vor wenigen Wochen aktuelle Zahlen bekanntgegeben. 2015 hätten sich bislang 73 Menschen, so viele wie nie zuvor und 29 mehr als im gesamten Jahr 2014, von seinem Verein in den Tod begleiten lassen. Diesen Anstieg führt der darauf zurück, dass viele Menschen sich vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes noch schnell vom Acker machen wollten. Menschen also, die „jetzt noch auf legale Weise in Deutschland sterben wollen, statt später vor großen juristischen Hürden zu stehen“, sagte Kusch. Der Bundestag als Sterbebeschleuniger: Eine Pointe, die er sich nicht entgehen ließ.

Als Staatsanwalt Kusch 2001 von seinem Studienfreund Ole von Beust (CDU) und damaligem Hamburger Bürgermeister ins Amt des Justizsenators berufen wurde, inszenierte er sich mit markigen Worten als CDU-Double des Innensenators Ronald Schill (Partei Rechtsstaatlicher Offensive). Ronald und Roger wurden zum Inbegriff des Beust’schen Gruselkabinetts. Nachdem Ole von Beust erst Schill entlassen hatte, forderte er im März 2006 auch ­Kusch nach zahlreichen Eskapaden und Alleingängen zum Rücktritt auf.

Da zeigte Kusch erstmals, dass effektvolle Abgänge sein Metier sind. In der Justizbehörde ließ er extra eine kleine Bühne aufbauen. Von dort aus verkündete er dann mit Kunstpause: „Ole von Beust hat mir nahegelegt, von meinem Amt zurückzutreten und ich werde diesem Ratschlag – nicht folgen.“ Stattdessen beschimpfte Kusch seinen ehemaligen Studienfreund kräftig und beschleunigte mit diesem Auftritt seinen unvermeidlichen Rausschmiss. Am 27. März 2006 wurde er entlassen.

Noch war Kusch aber nicht durch mit der Politik. Er gründete die Partei „Rechte Mitte Heimat Hamburg“ und trat mit dem zentralen Thema Sterbehilfe bei der Bürgerschaftswahl 2008 an. Es reichte nur zu 0,5 Prozent der Stimmen. Kusch zog sich aus der Politik zurück und widmete sich ganz der Sterbehilfe.

Ohne Kusch hätte die Sterbehilfe in Deutschland vermutlich ein anderes, ein besseres Renommee. Doch als Gründer seiner so erfolglosen wie rechtspopulistischen Partei und vor allem als mit einer von ihm konstruierten Selbsttötungsmaschine ausgestatteter Handelsreisender in Sachen Profi-Suizid, verpasste er dem Geschäft mit dem Sterben ein höchst unseriösen Ruf.

Die Videos der Suizidwilligen, die Kusch der Öffentlichkeit präsentiert, legen oft den Schluss nahe, man hätte ihnen besser bei der Lösung ihrer Probleme helfen sollen, statt sie beim Selbstmord zu unterstützen. Denn nicht nur unheilbar Erkrankte akzeptiert Kusch als Klienten, sondern auch Menschen, die einfach Angst vorm Alter haben oder ihren verstorbenen Partner vermissen.

So redeten während der Bundestagsdebatte am 6. November viele nur über Kusch. Er sei das „schwarze Schaf“ der Branche, stellte die Linken-Abgeordnete Petra Sitte fest, während Peter Hintze von der CDU kritisierte, der Gesetzentwurf, der auf Wiederholung angelegte Sterbehilfe künftig unter Strafe stelle, bedrohe, „um einen Scharlatan zu erwischen, Tausende Ärzte mit Strafe“.

Ob der Volljurist Kusch bis zu einem höchstrichterlichen Beschluss die Hilfe zur finalen Selbsthilfe unterlässt, kann bezweifelt werden. Sein Sterbehilfeverein hat zwei Adressen: eine bei Hamburg und eine in Zürich, wo deutsche Gesetze nicht gelten. Bislang musste niemand zum Sterben in die Schweiz fahren. Das aber könnte sich bald ändern. Marco Carini