In der Klinik und am Tropf, drück schön auf den Knopf – der die Opiatzufuhr regelt
: Drogen sind doch eine Lösung

Foto: Wolfgang Borrs

Erwachsen

von Martin

Reichert

Der junge Mann mit dem blonden Haar und den Vergissmeinicht-blauen Augen sah einen Tick zu sehr nach Wayne Carpendale aus und fast schien er zu flüstern, als er „alles wird gut“ zu mir sagte. Dann rammte er mir eine Spritze in die Vene – der Auftakt zu einem einwöchigen Trip.

Leichter Fahrtwind umspielte meinen Schädel, als die Rolltrage die Notaufnahme verließ und durch endlose, dunkle Flure glitt, endend in einem Aufzug, der wohin fuhr. Nach oben? Nach unten? Jemand trug, und ich rollte schließlich in ein Zimmer, in dem schon jemand lag. Ein SCHLESIER. Wieso eigentlich ein SCHLESIER? Er sprach zumindest so und hieß Janosch. Aber ja auch egal, erinnerte mich das Zeug, das durch meinen Körper rann, irgendein geiles Opiumderivat.

Krasse Gesamtmediensituation in diesem Doppelzimmer, dachte ich weiter. Janosch starrte in einen SIEMENS-Fernseher, der unter der Decke hing. Wenn er den Kanal ändern wollte, tippte er auf einem Tastentelefon herum und ich dachte nur: Wenn du auf die Fünf drückst, läuft bestimmt die Schwarzwaldklinik. Wann hat SIEMENS denn Fernseher gebaut? Und warum bin ich nicht privat versichert?

Janosch roch streng und sagte, dass das Fenster zu sein müsse, weil draußen „Minustemperaturen“ seien. Das war gelogen, aber Gegenwehr mit Opiumderivat geht kaum. Doch wenn man die Dosierung hochtunt – der informierte Patient findet recht schnell heraus, wie man die Infusionspumpe bedient –, ist es ja auch egal.

Am nächsten Tag dann auch so voll witzig die beiden Ärzte. Einer Ober-, einer Unterarzt. Einer riesig und der andere total klein, nuscheln was von „potenziell lebensbedrohlich“, „erhöhten Werten“. Bla, bla. Sind beide in blaue Kittel gekleidet. Sind Ärzte nicht weiß oder wenigstens grün? Eben war hier ein Pfleger, der auch in Blau gekleidet war, und da kann ja jeder kommen. Ach, ist ja auch wurscht. Hi, hi.

LEBENSGEFÄHRLICH stand auf einem gelben Schild an der Eisenbahnbrücke, die ich als Kind oft überqueren musste. „Sie dürfen nichts, absolut nichts essen“, sagt der Unterarzt, und als die beiden weg sind, telefoniert Janosch nach Hause. Nach Brandenburg. „Vati. Heute hamwa schon de jelbe Tonne rausjebracht. Und Nachmittag wolln wa’n Hof fejen“, dröhnt es aus der Muschel. Voll der Stress, da draußen in Brandenburg. Kann man auch nur mit Drogen aushalten, aber die habe ich hier ja am Start, Altah. Zahlt alles die Kasse. Ein Freund, der ohne Blumen zu Besuch kommt sagt nur: „Ich beneide dich.“

Nach einer Woche haben mir Pat und Patachon dann den Hahn abgedreht, keine Dröhnung mehr. Und on top: Kein Alkohol und kein Nikotin, bitte. Und – ebenfalls bitte schön – ab nach Hause. Lange Liegezeiten schrecken den Controller.

In den eigenen vier Wänden dann gleich Inferno aus dem Flatscreen: Stade de France. Massaker. Blut. Der dritte Weltkrieg. Ausnahmezustand. Terror. LEBENSGEFAHR. All die Experten. Und dann auch noch Xavier Naidoo. Und alles nüchtern.

Ich denke: Ein Leben ohne Infusionspumpe ist möglich, aber sinnlos.

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