Werder bekommt „auf die Fresse“

KLATSCHE Werder Bremen geht beim VfL Wolfsburg mit 0:6 unter und gibt so den perfekten Aufbaugegnervor dem vielleicht schon entscheidenden Spiel der Wolfsburger in der Champions League bei ZSAK Moskau

Da fing das Elend an: Werders Alejandro Gálvez tunnelt seinen Torwart zum 0:1  Foto: Alexander Körner/dpa

von Christian Otto

Natürlich wurde gleich nach einer etwaigen Krisensitzung gefragt. Und nach einem möglichen Donnerwetter. Viktor Skripnik kennt dieses gemeine Spiel. Gerade hatte Werder die Partie beim VfL Wolfsburg mit 0:6 verloren. Und der Cheftrainer der Bremer stand vor der Wahl. Sollte er sein Team dafür verfluchen, wie es sich hatte vorführen lassen? Oder wäre der Trainer besser beraten, alle Schuld auf sich zu laden, um die Spieler zu schonen?

Er wählte die Ist-gar-nicht-so-schlimm-Variante. „Ich mache kein Theater“, meinte Skripnik. „Die Jungs werden bestimmt eine Reaktion zeigen.“ Auf eine Krisensitzung wollte er verzichten. Auf ein Straftraining auch. War es am Ende also gar nicht so schlimm, dieses bittere 0:6?

Sie waren erst vorgeführt und am Ende sogar gedemütigt worden. „Wir haben heute richtig auf die Fresse bekommen“, gestand Werders erschreckend schwacher Mittelfeldspieler Zlatko Junuzović. In der 11. Minute hatte das Unheil seinen Anfang genommen: Eine scharfe Hereingabe des Wolfsburgers Christian Träsch beförderte der Bremer Verteidiger Alejandro Gálvez ins eigene Tor. Es sollte eine von zahlreichen gefährlichen Hereingaben von den Wolfsburger Außenspielern vor das Bremer Tor sein, die die 30.000 Zuschauer staunen ließen und Werder Stück für Stück ins Wanken brachten.

„Wenn wir so spielen, sind wir schwer zu schlagen“, befand Wolfsburgs starker Linksverteidiger Marcel Schäfer. Der Mann ist eigentlich Reservist und vertrat den verhinderten Ricardo Rodríguez. Und doch sorgte Schäfer mit den vielen gefährlichen Vorstößen für mehr Gefahr als die gesamte Bremer Offensive zusammen. Dass Werder es in der zweiten Halbzeit mit Altmeister Claudio Pizarro an der Seite von Anthony Ujah versuchte, fiel kaum ins Gewicht. Die erhoffte Offensive fand gar nicht statt.

Weil es für manchen Werder-Profi einfach alles zu schnell gegangen sein dürfte, hier das Wesentliche noch einmal zum Mitlesen: Die weiteren Tore in der einseitigen Partie haben der agile Max Kruse (44./87.), der Portugiese Vieirinha (56.), der Franzose Joshua Guilavogui (67.) und der Niederländer Bas Dost (78.) geschossen. Diese Herren waren so gut, dass das Schlechte am Team des SV Werder nur bedingt ins Auge fiel.

Vor allem Kruse hat vorgemacht, wie man es schafft, düstere Tage innerhalb kürzester Zeit hinter sich zu lassen. Horrorwoche – so nennt er seine jüngsten Reisen mit der Nationalmannschaft, die ihn zuerst die Terroranschläge in Paris und dann die Länderspielabsage in Hannover miterleben ließen. Gegen Werder hat Kruse aufgetrumpft, als sei nie etwas gewesen. Ihm gelang die Rückkehr in die Normalität und den Liga-Alltag so gut, dass es Werder Bremen ziemlich schlecht erging.

„Ich mache kein Theater. Die Jungs werden bestimmt eine Reaktion zeigen“

Werder-Trainer Viktor Skripnik

Als die Trainer der beiden Mannschaften nach dem Abpfiff zusammenkamen, sah einer von ihnen wie ein Häufchen Elend aus. Mit jedem Satz zum Sieg, den VfL-Chefcoach Dieter Hecking aussprach, schien neben ihm sein Kollege Skripnik kleiner, noch kleiner und am Ende ganz klein mit Hut zu werden.

Die Wolfsburger Erklärungen dafür, dass sie so gut gespielt hatten, beinhalteten vor allem die Namen von Kruse und Schäfer. Hecking konnte es sich in der Pressekonferenz sogar erlauben, Werder als Thema schon nach wenigen Sekunden abzuhaken und zur nächsten Aufgabe überzuleiten: Die Wolfsburger sind am Mittwoch in der Champions League in einer vorentscheidenden Partie beim russischen Meister ZSKA Moskau gefordert. „Wir werden uns in dieses Spiel reinbeißen müssen. Nur abwarten, das wird nicht gelingen“, meinte Hecking.

Neben ihm saß Skripnik. Er hörte demütig zu und dürfte sich ertappt gefühlt haben. Sein Gesichtsausdruck ließ erahnen, dass er eigentlich doch große Lust auf eine Krisensitzung oder ein Donnerwetter zu Lasten seiner Mannschaft verspürte.