„Wir müssen handeln“

Wohnen Engelbert Lütke Daldrup, zuständig für Wohnungsbau, meint: In den nächsten Jahren müssen sehr schnell gute und preiswerte Wohnungen realisiert werden

Alles geht ihm zu langsam: Engelbert Lütke Daldrup Foto: Christian Thiel

Interview Rolf Lautenschläger

taz: Herr Lütke Daldrup, viele Wohnungsneubauten in Berlin gleichen Projekten von der Stange, sind uniform und langweilig. Der Architekt Arno Brandlhuber hat jüngst in der SZ mangelnde Qualität und architektonische Mutlosigkeit als Markenzeichen des Berliner Wohnungsbaus ausgemacht. Hat er recht?

Engelbert Lütke Daldrup: Aktuell kommt der Mietwohnungsbau in Fahrt, da werden wir zukünftig mehr Vielfalt sehen. Das wird mehr Farbe in die Stadt bringen. Richtig ist, in den letzten Jahren haben die eher konservativen Architekturbilder den Wohnungsbau, besonders im höher preislichen Wohnungsbausegment, bestimmt. Experimentellere Ansätze gab es auch, etwa bei Baugruppenprojekten. Im Gesamteindruck geben diese aber bisher nicht den Ton an.

Unterstützt die Bauverwaltung diese neue Richtung?

Wir führen gerade einen Wettbewerb aus dem Investitionsprogramm des Landes Berlin durch, indem wir 30 Millionen Euro für experimentelle neue Wohnungsbauprojekte bereitstellen. In der ersten Auswahlsitzung sind schon sehr interessante Arbeiten in dieser Richtung präsentiert worden. Die Entscheidung für etwa zehn innovative Projekte fällt Ende des Jahres.

Profitiert davon auch die Architektur für den sozialen Wohnungsbau?

40.000 Menschen kommen pro Jahr zusätzlich nach Berlin und benötigen eine Wohnung. Hinzu kommen die geflüchteten Menschen. Das ist für mich das interessanteste Experimentierfeld: wie und wo wir im mittleren und unteren Preissegment attraktive und zugleich qualitätsvolle Angebote schaffen können.

Wäre eine Internationale Bauausstellung (IBA) oder ein großes Stadtforum nicht nötiger, um neue Architekturen zu diskutieren?

Wir haben ein Stadtforum. Eine IBA ist aber derzeit kein Thema für uns. Fünf Jahre nachdenken geht nicht, wir müssen handeln. Wir wissen doch, dass wir für die Gesellschaft von morgen bauen müssen: Die Familienmodelle werden „bunter“. Arbeiten und Wohnen funktioniert heute oft im gleichen Haus. Es wird noch mehr Singles geben. Es wachsen häufiger Kinder in Familien mit einem Elternteil auf. Diese verschiedenen sozialen Typologien benötigen auch vielschichtigere Architekturen. In den Wohnquartieren der Zukunft muss es mehr gemeinschaftliche, soziale Räume geben; das haben ja die Baugruppen vorexerziert. Nachdem der Wohnungsbau für Architekten in Berlin in den letzten 15 Jahren kaum Thema war, tut sich jetzt in der Grundrisstypologie wieder eine Menge. Es gibt Entwurfswerkstätten, die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften engagieren sich. Wir diskutieren die Fragen, wie sieht Stadt in 10, 15 Jahren aus.

Wie experimentell ist denn etwa – der Begriff kommt von Ihnen – die „Gartenstadt des 21. Jahrhunderts“, die Sie mit 5.000 Wohnungen in Pankow auf der Elisabeth-Aue bauen wollen? Die Gartenstadt ist doch ein Modell aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, das weitergestrickt heute so aussieht: Doppelhaushälften samt Carport vor Rasenstückchen hinter Sichtschutz.

Wir laden am 7. und 8. Dezember zu einer internationalen Konferenz ein, wo wir mit Experten aus dem Städtebau, aus der Stadtsoziologie und aus der Architektur diskutieren wollen, was eine Gartenstadt heute bedeutet. Dazu gehören die Fragen, wie zukünftig dort die Freiräume zu gestalten sind, wie Mischung organisiert werden kann oder wie hoch heute die Dichte sein sollte. Zugleich muss die Gartenstadt des 21. Jahrhunderts das einlösen, was die historische Gartenstadt versucht hat: Sie muss eine Stadt werden mit allen Funktionen und Räumen. Das ist etwas Neues und das Gegenteil von einer Reihenhaussiedlung mit Garageneinfahrten.

Es gibt Kritik an der mangelhaften öffentlichen Nahverkehrsanbindung zur Elisabeth-Aue und daran, dass Fehler der Vorstädte aus den 1990er Jahren, etwa die ungenügenden städtischen Strukturen, wiederholt werden.

Die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr ist für uns ein zentraler Punkt. Die Elisabeth-Aue wird gut an das Straßenbahnnetz angebunden. Darüber hinaus reflektieren wir sehr genau, was aus den Projekten der 1990er Jahre in Karow-Nord, Rummelsburg oder Adlershof geworden ist. Wir fragen uns schon, was lief da falsch, sind genug Handel, Einkaufsmöglichkeiten, soziale Infrastrukturen vorhanden?

59, ist seit 2014 Staatssekretär in der Berliner Bauverwaltung und zuständig für die Bereiche Bauen und Wohnen.

Zuvor war er unter anderem Baurat in Frankfurt/Main, Bau­dezernent in Leipzig und Staatssekretär im Bundesbauministerium. Er ist promovierter Städte- und Raumplaner und Hochschullehrer an der TU und an der Uni Leipzig.

Berlin muss in den kommenden 15 Jahren Wohnungen für rund 400.000 Neuberliner bauen. Der Senat hat zur Förderung ein 200-Millionen-Euro-Wohnungsbauprogramm für öffentliche Baugesellschaften aufgelegt. An der Realisierung von jährlich fast 20.000 neuen Wohnungen beteiligen sich auch private Investoren und Bau­gruppen. Es ist das größte ­Wohnungsbauprogramm in Berlin seit dem Mauerfall. (rola)

Wo auf der grünen Wiese bauen Sie noch?

150.000 neue Wohnungen könnten wir auf den über 1.000 kleinteiligen Flächen in Berlin realisieren. Große Projekte schieben wir in Elisabeth-Aue und auf dem Flugfeld in Tegel mit jeweils 5.000 Wohnungen sowie in Lichterfelde-Süd, wo ein privater Investor 2.500 Wohnungen baut, an. Aber was man nicht vergessen darf, ist, dass 90 Prozent der Neubauprojekte „innen“ in der Stadt gebaut werden können: Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte, wo pro Jahr zuletzt 3.000 Wohnungen gebaut wurden, sind die Spitzenreiter für den Wohnungsneubau. Dann kommen Pankow, Treptow-Köpenick und Lichtenberg. Angesichts prognostizierter 400.000 Neuberliner bis 2030 wird das nicht ausreichen. Wenn der Druck so enorm ist, denken Sie nicht auch an den Bau von neuen Großsiedlungen oder an Quartiere mit Wohnhochhäusern?

Großsiedlungen geben heute keine tragfähigen Antworten mehr für den Städtebau. Sie sind zu homogen, zu groß. In bestimmten Bereichen und Stadtlagen ist das Hochhaus als Wohnform vielleicht ein interessantes Modell. Trotzdem ist es eine Illusion zu glauben, dass ein Hochhaus billiger ist als ein sechsgeschossiges Gebäude mit Aufzug. Beim Hochhaus hat man hohe Aufwendungen ...

… aber es verbraucht weniger Grundfläche und es passen mehr Menschen hinein.

Ein Beispiel, das mir gefällt, plant etwa die Wohnungsbaugesellschaft Mitte. Sie wollen 20 Hochhäuser als Ergänzung der bestehenden 16-Geschosser in Friedrichshain realisieren. Das ist eine gute Strategie, der Städtebau der DDR wird kongenial weitergedacht.

Muss nicht schnell gebaut werden?

Es braucht zirka vier Jahre von der Planung über die Erschließung, bis wir in Berlin einen Stein bewegen können. Wenn wir die Elisabeth-Aue in diesem Jahrzehnt anfangen, sind wir schon gut. Das geht alles zu langsam. Berlin muss lernen, die Verfahren zu beschleunigen. Die Verwaltungen und das Parlament müssen das in Angriff nehmen.

Das hört sich an, als wollten Sie die Instrumente der Beteiligung bei Bauvorhaben aushebeln?

Nein. Natürlich ist die Beteiligung sehr wichtig. Das gehört zu unserem Baurecht und zu unserer Planungskultur. Aber wir müssen innerhalb verbindlicher Zeiträume zu verbindlichen Verabredungen kommen, damit Planungssicherheit besteht. Beteiligung kann nicht in offenen, unentschiedenen Prozessen enden.

Warum nicht, wenn man nicht weiterkommt?

Berlin muss lernen, die Verfahren zu beschleunigen

Engelbert Lütke Daldrup

Wenn ich daran denke, dass wir in Berlin für eine Schule im Wohngebiet fast zehn Jahre brauchen, dann geht mir das viel zu langsam. Und wenn wir die dringend benötigten preisgünstigen Wohnungen bauen wollen, müssen unsere hohen Standards kritisch hinterfragt werden.

Wenn jetzt der Wohnungsbau der Motor der Stadtentwicklung wird, würde sich der Flughafen Tegel mit seinem Terminalgebäude nicht als Modell moderner städtischer Architektur anbieten?

Ja, noch im Winter starten wir einen städtebaulichen Wettbewerb, der diese Frage beantworten soll. Klar ist, dass rund 5.000 Wohnungen sich auf den östlichen Teil des Flugfeldes, dem Kurt-Schumacher-Quartier, konzentrieren sollen. Die neuen städtebaulichen Strukturen sollen zudem mit den bestehenden vernetzt werden. In das Terminal wird die Beuth-Hochschule einziehen, sodass dort und im Wohnungsumfeld ein neuer Typus aus Forschungs- und Industriestadt entsteht. Und ist der Airport nicht heute schon eine Ikone der Architektur? Das wäre doch Ansporn genug für neues Bauen. Wir haben eine große Baufläche, wo man sicher über das Normale hinausgehen kann. In Tegel wird es keine strikte Höhenbegrenzung geben. Auch neue Wohnformen sind gefragt. Die Stadtplaner können ruhig Mut haben.

Darf man in Berlin eigentlich noch eine Wohnung abreißen?

Grundsätzlich nein. Abriss würde den Wohnungsmarkt verschärfen. Und wir wollen das Gegenteil.