„Kleinere Brötchen zu backen ist manchmal hilfreich“

Das bleibt von der Woche Kita-Schwänzer lassen sich nicht durch Bußgeld beeindrucken, Stadtentwicklungssenator Geisel (SPD) verhindert die Anhebung der Hartz-IV-Mietobergrenze, die Attentate von Paris sind auch in Berlin zu spüren, und die Stelle des Antisemitismusbeauftragten der Jüdischen Gemeinde läuft sang- und klanglos aus

Lähmende Planlosigkeit der Politik

Auszug aus Heimen

Stadtentwicklungs­senator Geisel könnte mal die Muskeln spielen lassen

Dass Flüchtlinge sich gefälligst integrieren sollten, wird von ­PolitikerInnen gerne lauthals gefordert. Verschwiegen werden dabei allerdings zwei Tatsachen: erstens, dass sich die Mehrheit der Flüchtlinge ganz genau das dringend wünscht; und zweitens, dass die Politik – außer lautstarke Forderungen an die Neuankömmlinge zu ­stellen – kaum etwas dafür tut, dass ­deren Integration auch gelingt.

Der Vorschlag von Sozialsenator Mario Czaja (CDU), die Hartz-IV-Mietobergrenzen für besonders benachteiligte Wohnungssuchende anzuheben, um so unter anderem Flüchtlingen den Auszug aus Heimen zu erleichtern, war immerhin ein erster Schritt. Dass ausgerechnet sein SPD-Kollege, Stadtentwicklungssenator Andreas ­Geisel, sich dem widersetzt, zeigt die lähmende Planlosigkeit der Politik in Sachen Flüchtlinge.

Ja: Wohnraummangel führt zu Mietsteigerung. Die BerlinerInnen klagen seit Jahren da­rüber. Die Politik überhörte das fast ebenso lange. Wer meint, dass Czajas Vorschlag ein weiteres Ansteigen der Mieten fördere und das verhindern will, schafft das langfristig nicht, indem er die Flüchtlinge in den Heimen festhält. Er muss Druck auf die Vermieter ausüben – dort, wo er es kann. Knapp 300 000 Wohnungen gehören landeseigenen Unternehmen. Der Berliner Senat lässt sie mit jährlich 250 für Flüchtlinge zu Verfügung gestellten Wohnungen davonkommen. Da könnte Senator Geisel mal produktiv die Muskeln spielen lassen – statt in der Integrationsverhinderung. ­Alke Wierth

Vertrauen in die Polizei schaffen

Nach den Paris-Anschlägen

Wenn man sich um jemanden sorgen sollte, dann um die Schutzpolizisten

Paris und Berlin ähneln einander. Beides sind kosmopolitische Städte mit Kiezen und Ausgevierteln, in denen jeder nach seiner Façon glücklich werden kann. Paris hat vielleicht mehr Stil, Berlin dafür mehr Trash und Unterground. Aber wenn es islamistischen Fanatikern darum geht, den Lebensnerv westlicher Gesellschaften zu treffen, macht das keinen Unterschied. Berlin könnte genauso so zum Ziel werden, wie es Paris war, Freitagnacht vor acht Tagen.

Könnte. Die Gefahr ist abstrakt. Es gebe keine Anhaltspunkte für derartige Planungen in Berlin, versichern Sicherheitsexperten unisono. Aber was heißt das schon? In Paris gab es auch keine Warnungen.

Damit soll an dieser Stelle nicht der Angst das Wort geredet werden. Im Gegenteil. Weitermachen wie bisher, das müsse die Antwort auf Paris sein, hat ein Berliner Konzertmanager im taz-Interview am Montag gesagt. Menschenansammlungen aus Furcht vor Anschlägen zu meiden, ist in einer Großstadt wie Berlin zudem auf Dauer gar nicht durchhaltbar.

Wenn man sich um jemanden Sorgen machen sollte, dann um die einfachen Berliner Schutzpolizisten. Sie sind es, die in der Regel die ersten am Tatort sind. Eine Dienstanweisung für Amoklagen besagt: Die Beamten dürfen nicht tatenlos warten, bis das Spezialeinsatzkommando (SEK) kommt, weil bis dahin weitere Menschen sterben können. Die zwei Pariser Polizisten, die in den Musikclub Bataclan gestürmt sind und einen der Attentäter erschossen haben, haben vorgemacht, wie es sein sollte.

Was Berlin betrifft, hat Innensenator Frank Henkel (CDU) diese Woche erklärt: „Der einfache Streifenpolizist ist solchen Terroristen hoffnungslos unterlegen.“ Man könnte sagen, Henkel hat damit seine Unfähigkeit eingestanden. Doch es bleibt die Frage: Könnte man durch eine bessere Ausrüstung und Schulung überhaupt eine Waffengleichheit herstellen zwischen Schutzpolizisten und zu allem entschlossenen Selbstmordattentätern?

Kleinere Brötchen zu backen ist manchmal hilfreich. Es wäre schon etwas gewonnen, wenn die Streifenpolizisten besser auf Ausnahmesituationen vorbereitet würden. Auch das Schießtraining ist verbesserungswürdig. Nicht um Terroristen abzuwehren, sondern um den Gefahren im Alltag begegnen zu können: 2013 erschoss ein Berliner Polizist einen nackten Mann in einem Brunnen, der ein Messer hatte, anstatt ihn kampfunfähig zu machen. Ein Vorgehen wie dieses sorgt natürlich nicht dafür, dass man Vertrauen in die Polizei hat. PLUTONIA PLARRE

Nicht den Sheriff spielen

Strafe für Kitaschwänzer

Der Senatbestraft Eltern für die eigene Mangelwirtschaft mit Kitaplätzen

Das klang im vergangenen Jahr ganz schön nach harter Kante zeigen: Ein Sprachtest für alle vierjährigen Kinder, die noch zu Hause betreut werden – und wer den Nachwuchs von der „Sprachstandsfeststellung“ fernhält oder ihn trotz Förderbedarf nicht in einer Kita anmeldet, kann ein ordentliches Bußgeld aufgebrummt bekommen.

Bußgelder bis zu 2500 Euro können die bezirklichen Schulämter verhängen, seit die rot-schwarze Koalition im März 2014 das Schulgesetz änderte. Die Adressaten der strengeren Gesetzesregelung: Kinder, die eine andere Muttersprache als Deutsch sprechen. Und bei denen das Thema Bildung keine große Rolle am heimischen Küchentisch spielt, denn sonst wüssten sie ja, dass Kitakinder in Sprachtests besser abschneiden und also auch in der Schule einen Vorsprung haben.

Da ist das Klischee, das man von potenziellen Bußgeldzahlern im Kopf hat, natürlich sofort da. Die passenden Vokabeln dazu lauten: Migrationshintergrund, bildungsfernes Elternhaus. Brennpunktkiez.

Nun gab es diese Woche die Antwort des Senats auf eine Grünen-Anfrage. Die wollten wissen, ob sich die Kita-Schwänzer durch die Bußgeldregelung beeindrucken lassen. Die Antwort: Nein, tun sie nicht. Weil die Bezirke die Gesetzesänderung für ziemlichen Mumpitz halten – und sie deshalb schlicht ignorieren. Man halte es nämlich zum einen für sinnvoller, die Eltern vom Förderinstrument Kita „im Dialog“ zu überzeugen, statt den Sheriff zu spielen. Eine sehr demokratische Einstellung.

Zum anderen mag man in den Schulämtern aber auch deshalb keine Bußgelder eintreiben, weil man fürchtet, vor Gericht zu verlieren, sollten die Eltern klagen. Denn „im Dialog“ stelle sich oft heraus, dass die Eltern sehr wohl eine Kita für ihr Kind wollen – aber schlicht keinen Platz finden, der einigermaßen wohnortnah ist. Der Senat bestraft Eltern also für die eigene Mangelwirtschaft mit Kitaplätzen. Und die Schublade von den bildungsfernen Mi­granten darf man auch aus anderem Grunde gerne wieder ein Stück weit aufziehen: Aus dem Schulamt Spandau heißt es, grundsätzliche Ablehnung gegenüber der Kita schlage einem vor allem von den vorgeladenen Akademikereltern entgegen. Aber die werden dann sicher später das Geld für die Nachhilfe aufbringen können. Anna Klöpper

Sorge um die jüdische Community

Stelle läuft aus

Antisemitismus ist kein Problem, das die Jüdische Gemeinde allein lösen muss

Da passt etwas nicht zusammen: Auf der einen Seite steht die diffuse, vermehrt auch laut geäußerte Sorge in der jüdischen Community, dass mit den Flüchtlingen ein neuer Antisemitismus in die Gesellschaft getragen wird. Auf der anderen Seite läuft die Stelle des Antisemitismusbeauftragten der Jüdischen Gemeinde, der sich unter anderem genau um solche Sorgen kümmern soll, sang- und klanglos aus.

Der Jüdischen Gemeinde war das nicht mal eine Meldung wert. Daniel Alter, der bisherige Antisemitismusbeauftragte, sagt selbst nicht viel dazu. Offenbar wollte die Gemeinde von den ungünstigen Vertragsbedingungen nicht abrücken, und so lief das Arbeitsverhältnis nach drei Jahren aus.

Ist das Amt des Antisemitismusbeauftragten überflüssig geworden?

Wie wichtig seine Arbeit ist und war, hatte Alter erst vor zwei Wochen gegenüber der taz erläutert. So stellen sich die Fragen zum Verhältnis von Flüchtlingen aus arabischen Ländern und zum Antisemitismus tatsächlich gerade jetzt.

Erst am vergangenen Dienstag hatte das Zentrum für Antisemitismusforschung zu einer Podiumsdiskussion zum Thema eingeladen. Dass sich die Jüdische Gemeinde nun entscheidet, diese Arbeit nicht weiter zu finanzieren, wirkt vor diesem Hintergrund sehr kurzsichtig.

Als die Gemeinde Daniel Alter im August 2012 zum Antisemitismusbeauftragten berief, hob sie damit einen Mann in das Amt, der kurz zuvor selbst antisemitisch angegriffen worden war. Alter war eine prominente Besetzung, der den interreligiösen Dialog voranbrachte. Zusammen mit Imamen engagierte er sich in Schulprojekten. Antisemitismus, sagte er, gehe die Gesellschaft als Ganzes an.

Und das ist richtig: Antisemitismus ist kein Problem, das die Jüdische Gemeinde allein lösen muss. Die Stelle eines Anti­se­mitismusbeauftragten sollte deshalb nicht davon abhängen, ob die Jüdische Gemeinde gerade dafür Geld aufwenden möchte oder nicht. Seit Januar gibt es im Kontext der mobilen Beratungsstelle gegen Rassismus auch ein Meldesystem für antisemitische Vorfälle, das vom Senat gefördert wird. Warum also sollte der Senat nicht auch das Amt eines Landesbeauftragten gegen Antisemitismus einrichten? Uta Schleiermacher