der rechte rand
: Vorauseilender Gehorsam in Göttingen?

Göttingen am vergangenen Samstagnachmittag. „Die Versammlung ist beendet, entfernen sie sich Richtig Bahnhof“, hallt es aus dem Lautsprecher. Nach knapp drei Stunden schickt die Polizei die Neonazis zum Bahnhof der niedersächsischen Universitätsstadt zurück. Über 4.000 Demonstranten waren dem Aufruf des „Bündnis gegen Rechts“ gefolgt. Sie hatten sich auf einer neuen Marschroute den etwa 250 Neonazis entgegengestellt. Auf der für die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD) genehmigten Route brannten schon mehrere Blockaden. „Wir hatten keine Chance, das zu verhindern“, sagt ein Polizeisprecher und betont: „Bei dem massiven Widerstand war ein ordnungsgemäßer Verlauf nicht mehr zu gewährleisten“.

Schon im Vorfeld hatten Parteien und Initiativen die Stadt kritisiert, da diese kein Verbot des Aufmarsches angestrebt hatte. CDU-Bürgermeister Jürgen Danielwoski wäre es sogar am „liebsten gewesen“ die Rechten „einfach zu ignorieren“. Doch der Stadtrat beauftragte die Verwaltung einstimmig, den Marsch zu unterbinden.

NS-Propagandaminister Joseph Goebbels hatte einmal gesagt: „Das wird immer einer der besten Witze der Demokratie bleiben, dass sie ihren Todfeinden die Mittel selbst stellte, durch die sie vernichtet wurde“. Der Göttinger Rechtsdezernent Wolfgang Meyer (SPD) betonte dementsprechend, ein Verbot sei „nach der rechtliche Lage nicht möglich“. Seit Jahren wäre keiner Stadt ein Verbot gelungen, sagte er zur taz. Diese vorauseilende Entscheidung findet Patrick-Marc Humke, Ratsfraktion der LinksPartei, „unglaublich“. Die Stadt habe die Hinter- und Beweggründe der NPD ausgeblendet, betont Niedersachsens Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel. Wenn Neonazikader wie Thorsten Heise vom „Kampf auf der Straße“ sprächen, sagt der Göttinger Wenzel, dann gehe es um „Einschüchterung und Bedrohung. Das waren die Methoden der SA“.

Offen hatte die NPD im Internet verkündet, dass in „Göttingen den Antifa-Banditen“ nicht mehr „die Straße zu überlassen“ sei.

Wenzel griff sogar das Oberverwaltungsgericht Lüneburg an, da die genehmigte Route an dem Platz der ehemaligen Synagoge vorbeiführte. „Eine Entscheidung vom grünen Tisch“ meinte ebenso Rechtsdezernent Meyer. Die Lüneburger Richter hätten sich auf ihre Göttinger Kollegen verlassen sollen. Das Göttinger Verwaltungsgericht hatte in seinen Auflagen bereits die Begründung für das Ausbleiben von Verboten rechter Aufmärsche genannt: „Geht eine Gefährdung nicht von der angemeldeten Demonstration aus (...), ist es grundsätzlich Aufgabe der Polizei, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln die Versammlung gegen Übergriffe zu schützen“. Diese Verengung des Rechtsverständnisses auf Gewalt von Seiten der Anmelder erschwert das Verbot, macht es aber nicht unmöglich. Erst recht nicht, wenn Beweggründe und Botschaften der Rechten mitberücksichtigt würden.

Warum Behörden den Neonazis bei Aufmärschen meist Friedfertigkeit unterstellen, ist nicht minder fragwürdig. Am Samstag sollen Rechte auf der Rückfahrt in Northeim eine Frau schwer verletzt haben. Die juristischen Optionen dürften sich aber auch erweitern, wenn Artikel 139 des Grundgesetz in der Rechtsinterpretation nicht weiterhin als obsolet gilt. Nach diesem „Befreiungsparagraph“ ist jede Agitation im „militaristischen und nationalsozialistischen Geist“ verboten. Andreas Speit

Fotohinweis: Andreas Speit arbeitet als freier Journalist und Autor über die rechte Szene Norddeutschlands. Bücher: Braune Kameradschaften (mit Andrea Röpke, 2004), Ästhetische Mobilmachung (2001), Ronald Schill – der Rechtssprecher (mit Marco Carini).