Knollennasige Gnome auf Zeitreise

Bilder Das einstige DDR-Comic "Mosaik" feiert ein Doppeljubiläum und seinen anhaltenden Erfolg

"Mosaik" ist das älteste und auflagenstärkste Comic deutscher Produktion

Die größte Witznummer in den DDR-Popkulturvorschriften lautete 60/40. Bei Unterhaltungsmusikveranstaltungen sollten mindestens 60 Prozent Ostsongs und höchstens 40 Prozent Westsongs gespielt werden. Selbstverständlich hielt sich kein DJ daran. So geriet 60/40 zur Chiffre für den Fehlversuch, die Jugendkultur aus dem Sog der Westvorbilder zu befreien.

In einem anderen Bereich – den Comic-Heften – hat es die Kombination: Originär DDR, aber erfolgreich dagegen, erstaunlich gut geklappt. Und auch die Zahlenkombination 60/40 spielt dabei eine Rolle: Vor 60 Jahren erschien erstmals das Magazin Mosaik mit den Digedags, drei knollennasigen Gnomen, die wiederum vor 40 Jahren durch die Abrafaxe abgelöst wurden. Und die ziehen immer noch durch die Bilderwelten des Mosaik, das seit 1991 in einer Villa in Berlin-Westend von einem Team um Autor Jens-Uwe Schubert und acht Zeichnern produziert wird. Inzwischen ist es das älteste und mit 100.000 Exemplaren auflagenstärkste Comic deutscher Produktion. Mit der am Dienstag erscheinenden Mosaik-Ausgabe 480 haben die ­Abrafaxe nun genau 40 Jahre auf dem Buckel.

Unterhaltung für Millionen

Was die Comic-Reihe bis heute so besonders macht: Das Mosaik – und insbesondere die Digedag-Reihe – lieferte nicht nur Unterhaltungsstoff für Millionen junge Ostler, sondern auch Weltanschauungsfantasien.

Sein erster Eindruck bei einer Fahrt durch New Orleans sei gewesen, schrieb Rammstein-Keyboarder „Flake“ Lorenz in seiner Biografie, dass es dort genauso aussehe wie bei den Digedag-Abenteuern in Wildwest-Amerika. Solche Déjá-vus hatten nach der Wende viele Ostdeutsche.

Im Unterschied zu westlichen Comics, die im Mosaik-Gründungsjahr 1955 in der DDR als kapitalistische Schundhefte mit billiger Zzzsch-Knallll-Bummm-Unterhaltung galten, versuchten die Mosaik-Macher den Spagat zwischen Anspruch und Unterhaltung in Form lehrreicher Zeitreisen der Digedags und später der Abrafaxe. Dass das so gut ankam, lag vor allem daran, dass die Geschichten nie platte ideologische Botschaften vermittelten und auch sonst oft in DDR-fernen Welten spielten. Die Digedags stromerten durch den Orient oder das Amerika der Bürgerkriegszeit, stets dem niederen Volk mit allerlei Streichen gegen die Herrschenden zur Seite stehend. Unterstützten sie nicht gerade die einkommensschwachen Schichten, erklärten sie auf originelle Art historische Erfindungen und Entdeckungen.

Ausgedacht hatte sich die Digedags der Zeichner Johannes Hegenbarth alias Hannes Hegen, der vor einem Jahr gestorben ist. 20 Jahre leitete er die Mosaik-Redaktion, bis er den Verlag 1975 aus Unzufriedenheit verließ.

Nach der Wende riss die Mosaik-Geschichte – anders als die der meisten DDR-Zeitschriften – nicht ab. Klaus D. Schleiter, Chef einer Westberliner Werbeagentur, kaufte die Rechte 1991 von der Treuhand. Mit dem alten Erfolgsrezept konnte sie sich behaupten und sogar Lizenzen in mehrere Länder verkaufen.

Auf seiner Titelseite weist das aktuelle Heft natürlich groß auf den 40. Geburtstag der Abrafaxe hin, aber auch die 60 wird nicht unterschlagen. „Uns ist schon bewusst, dass die Mosaik-Geschichte nicht erst mit den Abrafaxen begann“, sagt Verlagssprecher Robert Löffler, der mit den Digedags groß wurde. „Wir haben auch ein positives Verhältnis zu ihren Vorgängern, trotz der etwas verzwickten Trennungsgeschichte.“

Abenteuer bei den Römern

Alte Digedag-Zeichner gibt es im Verlag mittlerweile nicht mehr, aber die frühe Mosaik-Tradition wird durchaus hochgehalten. Aktuell sind die ­Abrafaxe gerade im Römischen Reich unterwegs, so wie vor Jahrzehnten auch schon die Digedags.

Das dürfte auch all die älteren Leser freuen, die dem Heft Mosaik seit ihrer Kindheit schon die Treue halten. Zwar ist das Comic immer noch etwas stärker im Osten verwurzelt, aber der eigentliche Zielgruppennenner ist der fast schon bildungsbürgerliche Anspruch, „sinnvolle“ ­Unterhaltung zu bieten. Dafür gab es unter anderem das Qualitätssiegel für Kinder- und ­Jugendzeitschriften der Stiftung Lesen. Gunnar Leue