Georg Löwisch über die Anschläge von Paris
: Gegen den Kriegsgeist

Die Terrorattacke ist ein Angriff auf den ­öffentlichen Raum

Je offener die Morde, je zufälliger die Opfer, desto größer die Angst. Die Terroristen haben in einem Konzertsaal getötet, am Fußballstadion, auf der Terrasse von Cafés. Ihr Anschlag galt Menschen im Pariser Alltag, fast 130 sind tot und mehr als 350 verletzt.

Aber von dieser Tat sind auch Orte berührt. Die Museen blieben am Wochenende geschlossen, die Bibliotheken zu und die Schwimmbäder gesperrt. Die französische Hauptstadt ist zum großen Teil wie ausgestorben. Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo hat die Menschen aufgefordert, zu Hause zu bleiben. Die Maßnahmen zeigen die besondere Wirkung dieser Terrorattacke: Es ist ein Angriff auf den öffentlichen Raum.

Vielleicht haben die Terroristen strategisch auf ihn gezielt. Vielleicht wollten sie aber auch einfach möglichst viele Menschen auf einmal ermorden. Letztlich ist das egal, denn der Effekt bleibt derselbe: Das öffentliche Leben in Paris wurde stillgelegt; die Museen, die Bibliotheken, die Schwimmbäder sind für mindestens ein Wochenende zu toten Orten geworden.

Sie werden wieder öffnen, aber es droht ein Begleitschaden: dass wir uns fragen, ob wir noch ins Konzert gehen, ob wir uns noch ins Stadion trauen dürfen, ob wir uns im Café auf die Terrasse setzen.

Nehme ich lieber den früheren Bus, weil er nicht so voll ist? Ist dieser Kinosaal nicht zu groß und deshalb ein Risiko? Wäre der Mittwochabend nicht sicherer als der Freitag? Die Wahnsinnigen schaffen es, dass wir uns fragen, ob wir nur noch dort sicher sind, wo viele Pariser ihren Samstag verbringen sollten: zu Hause.

Dies ist das schleichende Gift, das solche Taten freisetzen und das die Menschen noch lähmt, wenn in den Nachrichten längst wieder andere Themen laufen. Wir dürfen dieses Gift nicht wirken lassen.

Denn es ist genau diese Herrschaft der Angst, der Terroristen anhängen. In der Staatsperversion, die sie sich erträumen, macht niemand im öffentlichen Raum, was er oder sie will, sondern was die Mächtigen erlauben. Konzert kontrolliert, Stadion geprüft, Café überwacht. Frei ist man höchstens: zu Hause.

Jetzt fragen alle, was zu tun ist. Wie wir uns wehren können. Frankreichs Präsident François Hollande hat die Anschläge einen Kriegsakt genannt, und den IS bombardiert die französische Luftwaffe ja schon. Am Wochenende haben Kommentatoren auch in Deutschland nach Krieg gerufen, so auch der Bundespräsident. Das alles erinnert an die Tage nach dem 11. September. Dass Bushs Kriege gar nichts gelöst, sondern neuen Terror ausgelöst haben? Vergessen.

Es droht aber auch eine Debatte um Einwanderung, die kriegerische Züge trägt. Die nicht mit Waffen-, sondern mit grober Wortgewalt die Ausgrenzung vorantreibt und damit neuen Hass erzeugen wird. Angela Merkel hat ja noch einmal gegen die Furcht vor Einwanderung geredet, am Freitagabend im Fernsehen war das, kurz bevor die Nachrichten aus Paris eintrafen. Dieses Reden möchten die Profiteure der Angst jetzt hinwegfegen.

Das Vorgehen ist typisch für eine Reaktion rechter Denkart. Sie walzt jede Differenzierung platt. Ein kriegerischer Geist, der ebenso schnell die Bürgerrechte zur Reminiszenz erklärt. Setzt sich dieser Geist durch, droht die Kontrolle nicht nur dem öffentlichen Raum, in dem am Eingang von Schwimmbädern und Cafés der Fingerabdruck gescannt würde. Der Streit um das Speichern von Verbindungsdaten würde dann im Nachhinein geradezu niedlich erscheinen, Laptops und Telefone von den Behörden gekapert.

Würde der Ausnahmezustand zum Dauerzustand, dann reichte die Überwachung auch ins Private: bis nach Hause.

Ja, was ist denn dann zu tun? Den Weg nach vorn weist ein Blick zurück. Europa erleidet bereits seit Jahrzehnten schreckliche, traurige Anschläge. 1995, vor 20 Jahren, verübten Islamisten einen Anschlag auf den öffentlichen Raum in Paris. In der U-Bahn-Station Saint-Michel starben acht Menschen, rund 150 wurden verletzt. 2004 war es ebenso der öffentliche Verkehr, als Terroristen mit ihren Bombenanschlägen auf Regionalzüge im Madrider Bahnhof Atocha 191 Menschen ermordeten.

Europa hat sich damals als erstaunlich seelenrobust erwiesen. Es hat die Nerven behalten. Es hat sich nicht für den Krieg entschieden, auch nicht für den Geist des Kriegs. Es hat den öffentlichen Raum nicht der totalen Kontrolle preisgegeben. Wir sind nicht zu Hause geblieben.

Für immer in Angst? Nein.