„Gleich zwei andere machen Müller schöne Augen“

Das bleibt von der Woche Die AfD versucht, die Theatermacher der Schaubühne einzuschüchtern, die SPD-Mitglieder haben über Wahlkampfziele abgestimmt, die Koalition will nur noch einen Anteil der Strom- und Gasnetze zurückkaufen und die Flüchtlingspolitik spaltet die rot-schwarze Ehe

Kein Streit, sondern ein Angriff

AfD und Schaubühne

Diese RechtspopulistInnen sind ernst zu nehmen, sie gewinnen Oberwasser

Dass sich sogar der Deutsche Kulturrat in dieser Woche bemüßigt fühlte, sich schützend vor die Theaterinszenierung „Fear“ an der Schaubühne zu stellen und diese gegen Absetzungsforderungen zu verteidigen, könnte man als gute Nachricht werten: Wann hat zuletzt ein Theaterstück, zumal von der Schaubühne, eine politische Debatte inklusive Absetzungsforderungen losgetreten, die solche Reaktionen notwendig macht?

Doch der Streit über die Inszenierung von Falk Richter, die sich kritisch mit AfD, Pegida und Rechtspopulismus auseinandersetzt, ist keine bereichernde politische Debatte. Eigentlich ist es noch nicht einmal ein Streit. Es geht hier um rechte Einschüchterungsversuche, gerichtet gegen ein Thea­ter­stück und seine Macher, die es wagen, Kritik an den Islamisierung-Genderwahn-Flüchtlingsflut-ApologetInnen zu üben – ob künstlerisch und inhaltlich überzeugend, tut hier übrigens nichts zur Sache. Ein AfD-Funktionär filmt die Aufführung, der Regisseur bekommt Morddrohungen, der Vorplatz des Theaters wird beschmiert: Das ist keine Debatte, sondern eine Angriffswelle auf Andersdenkende.

Dass sich die Schaubühne anschließend öffentlich gegen den Vorwurf verwehrte, das Stück rufe zu Gewalttaten auf, ist daher insofern ein Fehler, als es diese Angriffe zu einer ernst zu nehmenden Diskussion aufwertet, auf deren Argumente es einzugehen gelte.

Ein Gutes hat die Sache aber: Vielleicht entsteht nun langsam doch ein Bewusstsein für die Gefährlichkeit dieser Neuen Rechten, auch in der Berliner Zivilgesellschaft, die bei den Protesten gegen den AfD-Aufmarsch am letzten Samstag noch mit praktisch kompletter Abwesenheit glänzte. Diese Rechtspopulis­tInnen sind ernst zu nehmen, sie gewinnen Oberwasser und greifen ihre politischen GegnerInnen immer selbstbewusster an – auch in Berlin.

Malene Gürgen

Ein Hoch auf die Vernunft der Basis

SPD zur Kitafrage

Es gibt Dringlicheres aus Landesmitteln zu finanzieren als die gebührenfreie Kita

Zum Glück sind manche Dinge nicht Chefsache. Im Frühjahr hatte SPD-Fraktionschef Raed Saleh das Thema Kinderbetreuung für sich entdeckt. Saleh, selbst Vater von Zwillingen im Kita-Alter, hatte mit viel Verve die gebührenfreie Kita für alle beworben und den Elternbeitrag eine „Zwangsabgabe“ für ärmere Familien gescholten. Gerade diese sollten aber das „Förderinstrument Kita“ nutzen. Damit hatte er sich mit viel Schwung auf die Nase gelegt.

Sozial ungerecht sei es, wenn auch Gutverdienende nicht mehr für die Kita zahlen müssten und stattdessen die Allgemeinheit, sprich: der Steuerzahler, so die Kritik von links wie von rechts. Zudem gebe es Dringlicheres aus Landesmitteln zu finanzieren – mehr ErzieherInnen etwa.

Am Montag wurden die Ergebnisse der Mitgliederbefragung über das Wahlkampfprogramm für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus im nächsten Jahr bekannt gegeben. Auch die gebührenfreie Kita stand zur Abstimmung. Doch zwei Drittel der Genossen bringen den Nachwuchs vermutlich häufiger selbst morgens in die Kita als der Fraktionschef: Der „Qualitätsausbau“, bemerkten 66 Prozent, sei die wichtigere Aufgabe. Mehr ErzieherInnen für die Kinder also.

Das ist nur vernünftig: Berlin hat für Krippenkinder einen der bundesweit schlechtesten Betreuungsschlüssel. Knapp sechs Kleinkinder kommen auf eine Erzieherin – auf dem Papier. Krankheiten und Fortbildungen sind nicht eingerechnet. In der Realität wuseln da auch schon mal zwölf Windelkinder um eine Erzieherin herum. Da ist das Kind zwar in der Kita, ob es aber gefördert wird, ist eine andere Frage. Und die Stadt wächst: mehr Zuzug, mehr Geburten. Zudem kommen mehr Flüchtlingskinder, die die Senatsverwaltung für Bildung erklärtermaßen möglichst zeitig in die Kitas bringen will. Eine Integrationsaufgabe, die Personal braucht. Anna Klöpper

Letzte Szenen
einer Ehe

Müller will CDU nicht mehr

Lange Zeit gab es die Angst, ein Koalitionsbruch würde die Wähler vergrätzen

Was sich gerade in der rot-schwarzen Koalition abspielt, wo SPD-Regierungschef Michael Müller am Donnerstag CDU-Senatoren den Rücktritt nahegelegt hat und damit den Christdemokraten das Ende der Koalition, ist wie in einer guten Ehe – oder, besser gesagt, in einer schlechten: Irgendwann ist der Punkt erreicht, von dem an es nicht mehr geht.

Streit gibt es in jeder Ehe, doch wenn der Streit keine Begleiterscheinung mehr ist, wenn er an Grundfragen geht, ist es Zeit für einen Schnitt. Da darf dann gern noch ein Eheberater ran, bevor tatsächlich Schluss ist. Aber der Bruch ist längst da. Selten aber sehen das beide Partner zur gleichen Zeit so, oft hängt der eine noch weit mehr am anderen, sei es emotional oder wirtschaftlich. Oder aus berechtigter Angst vor dem Alleinsein – wie jetzt bei der CDU.

Für Müller und die SPD hingegen ist die Sache mit der Trennung umso einfacher, weil er selbst nicht befürchten muss, allein zu bleiben. Derweil machen ihm in Gestalt von Grünen und Linkspartei gleich zwei andere schöne Augen und senden die Botschaft „Nimm mich“ aus. Rein formell hat Müller seinem Koalitionspartner noch die Möglichkeit gelassen, sich zu ändern, und das mal fix. Doch genauso wenig wie einer von zwei Ehepartnern auf die Schnelle ein anderer Mensch werden kann, so wird die CDU kein anderer Ko­ali­tionspartner werden.

Lange Zeit gab es die Angst, ein Koalitionsbruch würde die Wähler vergrätzen. Neuwahlen allein wegen unterschiedlicher Ansichten über Energienetze, Homo-Ehe oder Schulpolitik? Alles wichtige Themen, aber als alleiniger Scheidungsgrund nicht wirklich in der Breite zu vermitteln. Die grundsätzliche Haltung zur Flüchtlingspolitik hingegen ist Kern der gegenwärtigen Senatsarbeit, sie berührt alle Ressorts, und das wird voraussichtlich auf Jahre so bleiben.

Dass die Abgeordnetenhauswahl schon in zehn Monaten ansteht und die rot-schwarze Ehe auf Zeit damit ohnehin ausläuft, ist kein Argument, eine Trennung aufzuschieben, wenn man sie denn wie Regierungschef Müller für nötig hält: Denn in einer Lage mit vielen hundert neuen Flüchtlingen in der Stadt ist jeder weitere Tag einer uneinigen und damit in der Handlungsfähigkeit eingeschränkten Regierung ein verlorener Tag.

Doch gerade weil für die CDU kein neuer Partner in Sicht ist, wird sie sich nicht so schnell ihrem Schicksal fügen, als alternde Geschiedene ihr Dasein zu fristen. Und vor allem nicht freiwillig „Platz machen“, um „nicht im Weg zu stehen“, wie es Müller formulierte. Der Regierungschef wird die Union schon selbst verstoßen müssen. Stefan Alberti

Völlig
falsch
gepolt

Rekommunalisierung

Die CDU träumt von einer öffentlich-privaten Partnerschaft "auf Augenhöhe"

Eigentlich war sie ein Beweis, dass Abgeordnete vernünftig miteinander reden können: Die Enquetekommission „Neue Energie für Berlin“, deren Bericht am Donnerstag im Abgeordnetenhaus vorgestellt wurde, nahm die Energiewende ernst – und alle zogen am selben Strick, von der CDU bis zur Linken. Bis zu 98 Prozent Konsens wollen die Beteiligten im Ergebnis erkennen. Vielleicht hat die Beteiligung externer ExpertInnen die Fronten aufgelockert, vielleicht ist angesichts des Klimaschutzdesasters die Notwendigkeit gemeinsamen Handelns einfach zu offensichtlich.

Der Abschluss der Kommissionsarbeit hätte also eine hübsche parlamentarische Erfolgsgeschichte sein können. Wenn, ja wenn nicht der Senat erst am Dienstag seinen Beschluss zur teilweisen Rekommunalisierung der Strom- und Gasnetze bekannt gegeben hätte. So folgte auf den „großen Wurf“ (Kommissionsvorsitzender Jörg ­Stroedter, SPD) gleich wieder großer „Murks“ (Kommissionsmitglied Harald Wolf, Linke).

Einen Mehrheitsanteil am Gas­netz und 50 Prozent des Strom­netzes will der Senat ­erwerben – so eine Teilrekommunalisierung klingt erst mal nach etwas, womit auch die Opposition leben könnte. Aber für die ist das Glas halb leer: Erst der Betrieb der Infrastruktur aus einer Hand, so Harald Wolf, könne die Energiewende wirklich vo­ranbringen – etwa weil es bald wirtschaftlich sein wird, Stromüberschüsse in Wärme oder Gas umzuwandeln und in den Netzen zu speichern. Mit Eon und Vattenfall im Boot, denen es natürlich um Profit geht, dürfte das deutlich schwieriger sein.

Den Schuldigen muss man nicht lange suchen: Dafür, dass der Senat mit seinem Beschluss „rund 1.000 Arbeitsstunden der Kommission komplett igno­riert“ hat (Michael Schäfer, Grüne), ist die CDU verantwortlich. Die träumt immer noch von einer öffentlich-privaten Partnerschaft „auf Augenhöhe“, von „Kooperation statt Konfrontation“ (Michael Garmer, CDU).

Aber warten wir’s ab: Vielleicht ist ja auch die rot-schwarze Kooperation recht bald Geschichte. Dann kann die Energiepolitik wieder richtig gepolt werden. Claudius Prößer