Lauwarme Spaghetti

Schalke 06 kassiert beim Hamburger SV zwar nur ein Tor. Doch erneut lässt das Team von Ralf Rangnick den letzten Einsatzwillen vermissen. Schon will Manager Rudi Assauer „Damen einsetzen“

AUS HAMBURG OKE GÖTTLICH

Was nicht alles weltbest ist beim Hamburger SV: das Publikum; das Stadion; der Trainer. Am liebsten hätte Hamburgs Stadionbarde Lotto King Karl am Samstag wohl auch noch Kotrainer, Manager, Präsident, Pressesprecher, Fanbetreuer, Stadionchoreografie, eigentlich jeden einzelnen Fan in der mit 55.800 Zuschauern ausverkauften AOL-Arena und noch vieles mehr als weltbest vorlesen wollen.

Diese realitätsferne, potenzierte Euphorie mag seltsam anmuten, für den HSV ist sie allerdings eine Klammer im gesamten zusammenhängenden Gebilde des Profitainmentsports, die den taubenblau (es war kein Grau!) gewandeten Schalkern derzeit abgeht. Mit dem ungebrochenen Wahnsinn der Erfolgswelle stand die neue 3,5-4,5-2-Taktikvariante von HSV-Trainer Thomas Doll einem wiederholten Heimsieg gegen einen selbst ernannten Titelaspiranten (zuvor 2:1 gegen Bayern) ebenso wenig im Weg wie das Fehlen von Stammkraft Guy Demel und dem, natürlich, weltbesten Spieler Rafael van der Vaart.

Die große Frage, wer beim HSV denn die Tore in dessen Abwesenheit schießen soll, beantwortete der unter Doll zum Positionsnomaden rotierte Mehdi Mahdavikia mit dem einzigen Treffer in der 19. Minute. Der gelernte Außenstürmer versuchte sich gegen die Schalker erneut auf der rechten Außenbahn – allerdings in der Abwehrviererkette, die so häufiger zur Dreieinhalberkette dezimiert wurde, wenn nicht Raphael Wicky, eigentlich defensiver Mittelfeldspieler, die Lücke mannschaftsdienlich schloss.

Ein weiteres Attribut neben der Euphorie, die den HSV derzeit vom brüchigen Teamgeist bei Schalke 04 unterscheidet und den seltenen Umstand bedingt, im Zusammenhang mit einem 1:0-Erfolg von einem klaren Erfolg sprechen zu müssen. Sofern dem HSV zur Verwertung seiner zahlreichen Chancen nicht die Stürmer fehlten, um wenigstens um den Titel Deutschlands bestes, wenn schon nicht weltbestes Team mitzuspielen. „Wir wollen die Tore zu schnell machen, daran müssen wir noch arbeiten“, beschrieb HSV-Kapitän Daniel van Buyten ein Luxusproblem seines Klubs.

Ein weiteres dürfte in der Tatsache liegen, dass Trainer Thomas Doll viele seiner Spieler auf zwei bis drei Positionen einsetzen kann. Raphael Wicky kennt ebenso viele Aufgaben in der Defensive wie Guy Demel oder David Jarolim und Piotr Trochowski im Mittelfeld. „Wir legen schon in der Beobachtungsphase bei Neuverpflichtungen unser Augenmerk darauf, wie flexibel die Spieler eingesetzt werden können“, erklärte Doll. „Das müssen wir machen, da unser Kader nicht so voll ist wie bei anderen Bundesligisten.“

Ein auch auf Schalke durch Trainer Ralf Rangnick bekannt gemachtes Allroundermodell. So rotieren Kobiashvili, Kristajic (eigentlich Innenverteidiger) und Altintop (war mal Stürmer) mit Rafinha in einem flexiblen System für die Außenbahnen, in dem der eine den anderen bei Vorstößen defensiv absichern kann. Rodriguez (eigentlich Mittelfeld) wechselte in die Innenverteidigung, sodass Schalke unter Rangnick (7 Gegentreffer) mit dem HSV (6) und Bayern (7) die sicherste Abwehr der ganzen Liga stellt.

Doch scheint die Verunsicherung nach der 0:6-Pokalschlappe gegen Frankfurt ungleich größer als bei den selbstbewussten Hamburger Spielern. So versuchte Ralf Rangnick noch am Sonntag in einer Mannschaftssitzung möglicherweise den Lotto King Karl zu mimen und sein Team vor dem wichtigen Champions-League-Spiel starkzureden. Denn denkt man das Zitat von Schalkes Keeper Frank Rost („Man darf sich nicht beschweren, ob der Schuh drückt oder ob die Spaghetti lauwarm sind, sondern wir müssen uns auf das Wesentliche konzentrieren“) weiter, ist die Leidenschaft der Schalker Spieler auf dem Feld steigerbar. Selbst wenn dem Trainer das im Umfeld lokaler Tiraden von verassauerten Medien so schwer wie möglich gemacht wird, muss er sich etwas ausdenken, wenn Spieler wie Fabian Ernst in Zeitlupe zum Aufwärmen gehen und Frank Rost der einzige Spieler auf dem Platz ist, der seine Kollegen anfeuert. „Es ist eine schwierige Phase, zumal wir in der Offensive mit einem angeschlagenen Sand sowie zwei verletzten Spielern wie Azaouagh und Asamoah nur wenig Alternativen haben“, will Rangnick am Rande erwähnt haben. Dass Schalke und seine Spieler „die Kurve kriegen müssen“, sei ihm klar.

Die Unterstützung der wenigen Schalker Fans, die von vielen HSV-Fans bei ihren „Rangnick raus!“-Rufen nach dem Spiel unterstützt wurden, wäre da sicherlich hilfreicher als Rudi Assauers Ratschlag, „Damen einzuwechseln und den Gegner zu erschrecken“.