piwik no script img

Im Anwohnerpark

MANJA PRÄKELS

Teil 10: Fliegen oder liegen bleiben

Die Sonnenstrahlen brachen sich im dichten, hellen Staub Bahn. Winzige Partikelchen funkelten, schwebten und umtanzten die Häuser und Leute, Autos und uniformierten Mitarbeiter des Ordnungsamtes, die in der kleinen Straße auf- und abmarschierten, wie ein Glitzervorhang. Die Zahl der Strafzettel war mit jedem Baustellentag gewachsen. Immer neue Kräne und Gerätschaften verstellten Parkplätze, Bürgersteige und Hauseinfahrten. Immer wahnwitziger fielen die Versuche der motorisierten Bewohner aus, ein Stück Asphalt zu ergattern, auf dem ihr Gefährt legal verbleiben könnte. Alltäglich kreisten sie durch die Gegend zwischen Friedhof, Supermarkt, Bioladen und blaulicht in einem Korso der Verzweiflung. Hupend. Protestierend. Mütter herrschten ihre Kinder an, vom Rad zu steigen, denn nichts schien in diesen Tagen gefährlicher, als den Bewohnern der Gegend bei der Parkplatzsuche in die Quere zu kommen.

Fritze fiel das Atmen schwer. Das diffuse Licht erschwerte ihm den Weg noch zusätzlich. Beunruhigt hielt er vorm letzten unsanierten Haus inne und blickte zum Himmel empor. Die neuen Dachgeschosse hatten die Lichtverhältnisse verändert, nicht nur auf der Straße. Von Django, dem besten Gitarristen der Welt, wusste er, dass es vor allem in den Hinterhöfen düster geworden war. Noch düsterer. „Wie im Arsch des Bären!“ Fritze nahm sich vor, den Jungen zu besuchen. Irgendwann. Aus einem Keller hinter ihm dröhnte plötzlich ein Steinbohrer. Fluchend hinkte er weiter zum Parkplatz des Supermarktes, wo er bereits erwartet wurde: „Towarischtsch!“

Von oben betrachtet sieht die Welt gar nicht so übel aus, dachte Oma Heinrich, kraulte ihren Pudel und schnippte den Zigarettenstummel nebensächlich aus dem Fenster. Sie hatte ihren Frieden gemacht mit der Situation, hatte aufgehört, sich gegen ihre neue Verantwortung zu stemmen und einen Anwalt eingeschaltet, der sich um den Papierkram kümmern würde. Anfangs hatte sie alles Bienchen überschreiben wollen. Aber wahrscheinlich hätte man sie dann für unzurechnungsfähig erklärt. Einen Hund als Erben einzusetzen! Dabei war Bienchen doch nicht irgend so ein Köter. Allerdings hatte die Kleine gestern wieder einen ihrer nächtlichen Keuchanfälle gehabt. Wer wusste schon, wie lang die alte Hundedame noch …Eine Träne kullerte über das ungeschminkte Gesicht der Charlotte Heinrich, dem einstmals die ungeteilte Aufmerksamkeit vieler Jungs gegolten hatte, hier, in ihrer Straße. „Hopp hopp!“ Oma Heinrich nahm die Leine von der Garderobe, schnalzte mit der Zunge und gab der dicken Biene einen Stups. „Wir müssen in Bewegung bleiben.“

„Ich sehe das anders.“

„Meinetwegen.“

„Dir ist doch sowieso alles egal.“

„Blödsinn.“

„Wollen wir das jetzt wirklich so durchziehen?“

„Was?“

„Na dieses NICHT-Gespräch!“

„Jetzt reg dich doch nicht so auf …„

Hildegard wünschte sich Sprottenpeter an den Tresen des blaulicht.Er wäre jetzt der richtige Mann. Oder, noch besser, Fritze. Jemand, dessen Anwesenheit sie von dem Pärchen ablenken würde, das seit einer Stunde hier bei Kaffee und Rotwein hockte. Menschen, die sie nicht begriff. Dabei wohnten die nebenan. Seit Jahren. Nur saßen die beiden in der Regel vor dem benachbarten Bioladen. Dafür war es nun zu kalt. Würden in Zukunft alle so klingen? Die Tür flog auf und Lale zwitscherte durch den Raum. „Huhu!“ Welch ein Glück. Hildegards beste Tresenkraft knallte ihren Einkauf auf den Tresen, warf sich der Chefin an den Hals, gab ihr einen dicken Kuss und blickte herausfordernd zum Gästetisch: „Na, noch ’n Roten?“

Im Bioladen herrschte die übliche Vorabendflaute. Gelangweilt begann die neue Aushilfskraft, eine usbekische Studentin der Agrarwissenschaften, die Regale abzuwischen. Während ihr Putzlappen die verschiedenfarbigen Gläser mit vegetarischen Aufstrichen umkreiste, träumte das Mädchen von den Tabakfeldern, die sie bestellen würde, mitten in der Steppe. Ein eigenartiges Surren unterbrach ihre Meditation. Es drang aus dem winzigen Lagerraum, in dem ihre Chefin am Morgen verschwunden war. Sie hatte anders ausgesehen als sonst. Viel fröhlicher. Aber auch ein bisschen verrückt.

Nane Diehl

Manja Präkels,Jahrgang 1974, schreibt, singt und tourt mit ihrer Band Der Singende Tresen. Soeben erschien beim Verbrecher Verlag die von ihr mit Markus Liske herausgegebene Textsammlung „Vorsicht Volk!“. Seit 2009 betreiben die beiden die Gedankenmanufaktur WORT & TON. Ihr Romandebüt „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ erscheint 2016.

Illustriert wird die „Im Anwohnerpark“-Serie von Maria MacDonald, cargocollective.com.

„Nura?“

„Ja?“

„Schon okay.“

Nura kicherte und wischte weiter. Sie bewunderte Anne und war dankbar für den Job. Egal, was sie da gerade hinter verschlossener Tür tat.

Das schreckliche Paar war endlich gegangen. Hildegard genehmigte sich einen Sekt. Inzwischen war auch Sprottenpeter eingekehrt. Der Liebeskummer wollte ihm nicht aus den Knochen weichen, doch hatte er immerhin Arbeit ergattert, sogar eine Wohnung in Aussicht. Ohne, dass es einer aussprach, freuten sich alle für Peter und drückten ihm die Daumen. Geschichten von Pech und Unrecht, Gemeinheit, Krankheit und schrecklichen Unfällen wusste ja jeder zu berichten, doch mit Peter mochte sich niemand vergleichen. Darauf angesprochen, konnte er zornig werden: „Einen Scheiß wisst ihr! Die Flüchtlinge da draußen – DIE wissen Bescheid.“ Die Welt, das war die Hölle. Der Mensch des Menschen Feind. So sah es der alte Seebär. Und spülte den Kummer die Kehle hinab. „Die kommen hierher und wir? Sind sentimental. Prost!“

Flupp. Flupp. Flupp. Wer hatte bloß den Ventilator angestellt? Anne lag auf ihren Gemüsekisten. Ihr Blick hüpfte zwischen Rüben, Weißkohl, Wirsing und Kartoffeln hin und her. Flupp. Flupp. „Nura, warst du das?“ Sie untersuchte ihre Hände. „Wow!“ Der Mann aus Atlantis hatte auch so Häute zwischen seinen Fingern gehabt. Aber die waren lange nicht so schön wie diese! Anne konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann sie gelandet war. Dafür an jeden einzelnen Moment ihres Fluges. Es war ganz leicht gewesen. Hildegard hatte recht. Das war die Lösung! Jetzt würde alles gut werden. Anne, erfüllt von dem Gefühl großer, warmer, strahlender Erleichterung, beschloss, liegen zu bleiben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen